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1 Gibt es ein Mahnverfahren?
Neben anderen summarischen Verfahren sieht die italienische Zivilprozessordnung (Codice di procedura civile) auch ein Mahnverfahren (procedimento di ingiunzione) vor (Artikel 633 ff.). Es ist ein Verfahren ex parte, bei dem das Gericht über den Antrag des Gläubigers entscheidet, ohne den Schuldner anzuhören und ohne ihm das Recht auf Äußerung einzuräumen.
Der Schuldner wird erst nachträglich angehört, wenn der Mahnbescheid von ihm angefochten wird.
Das Mahnverfahren kann nur für bestimmte Forderungen (Zahlung eines Geldbetrags, Lieferung einer bestimmten Warenmenge usw.) und unter Einhaltung bestimmter Voraussetzungen angestrengt werden, die im Zivilgesetzbuch (Codice civile) geregelt sind. (Der Gläubiger muss z. B. einen schriftlichen Nachweis seiner Forderung vorlegen.)
Wenn das Gericht die Forderung für begründet hält, weist es den Schuldner zur Zahlung des Betrages innerhalb einer bestimmten Frist an, die im Allgemeinen 40 Tage beträgt. Gleichzeitig weist es den Schuldner darauf hin, dass er den Mahnbescheid innerhalb derselben Frist anfechten kann. Andernfalls wird der Bescheid rechtskräftig und kann gegebenenfalls vollstreckt werden.
1.1 Anwendungsbereich des Mahnverfahrens
Das Verfahren ist auf Forderungen von Gläubigern anwendbar, denen Geldbeträge oder Warenmengen geschuldet werden, und es steht jedem offen, der Anspruch auf Herausgabe einer beweglichen Sache hat.
1.1.1 Auf welche Arten von Ansprüchen ist dieses Verfahren anwendbar (z.B. nur Geldforderungen, nur Ansprüche aus Verträgen usw.)?
Wenn das Verfahren eine Geldforderung betrifft, ist der Betrag genau zu benennen. Damit ist die Möglichkeit ausgeschlossen, dass ein Mahnverfahren für nicht vertraglich vereinbarte Forderungen angestrengt wird, z. B. um einen Ausgleich für Schäden zu erhalten, die durch rechtswidriges Verhalten entstanden sind.
1.1.2 Gibt es einen Höchstbetrag beim Forderungswert?
Nein, ein Höchstbetrag ist nicht vorgesehen. Ein Mahnverfahren kann für Forderungen in jeder beliebigen Höhe angestrengt werden.
1.1.3 Ist die Anwendung dieses Verfahrens fakultativ oder obligatorisch?
Die Anwendung des Mahnverfahrens ist fakultativ. Ein Gläubiger kann jederzeit ein ordentliches Verfahren anstrengen.
1.1.4 Ist ein solches Verfahren verfügbar, wenn der Antragsgegner in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittland wohnhaft ist?
Ja.
1.2 Zuständiges Gericht
Der Mahnbescheid ist beim Friedensrichter (giudice di pace) oder bei dem tribunale zu beantragen, das auch in einem ordentlichen Verfahren zuständig wäre. Der Friedensrichter ist nur für kleinere Forderungen zuständig. Die Voraussetzungen regelt Artikel 7 Zivilprozessordnung. Wenn der Antrag beim tribunale gestellt wird, führt ein Einzelrichter die Verhandlung.
Wenn es bei den Forderungen um Prozesskosten oder Kostenerstattungen für Rechtsanwälte, Gerichtsvollzieher oder andere Personen geht, die im Verlauf eines Verfahrens tätig geworden sind, ist das Gericht zuständig, das in der Hauptsache entschieden hat.
Rechtsanwälte können einen Mahnbescheid gegen Mandanten bei dem Gericht des Ortes erwirken, dessen Anwaltskammer (consiglio dell’ordine) sie angehören. Notare können Forderungen beim Gericht des Ortes geltend machen, dessen Notarkammer (consiglio notarile) sie angehören (siehe auch „Gerichtliche Zuständigkeit“).
1.3 Formerfordernisse
Der Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids muss die in Artikel 638 Zivilprozessordnung festgelegten Angaben enthalten und bei der Geschäftsstelle des Gerichts mit sämtlichen Anlagen eingereicht werden. Artikel 16-bis des Gesetzesdekrets Nr. 179 vom 18. Oktober 2012 (umgewandelt durch das Gesetz Nr. 221 vom 17. Dezember 2012) lautet: „Ab dem 30. Juni 2014 sind bei Verfahren vor dem in Buch IV Titel I Kapitel I der Zivilprozessordnung genannten Gericht sämtliche Klagen, Anträge und Schriftstücke der Parteien (mit Ausnahme von Widersprüchen) ausschließlich auf elektronischem Wege einzureichen.“ Daher gelten alle nach dem 30. Juni 2014 in einem einseitigen Verfahren in Papierform eingereichten Anträge als unzulässig. Für das Europäische Mahnverfahren gilt gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 Artikel 16-bis des Gesetzesdekrets Nr. 179/2012 nicht, sodass Anträge auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls in Papierform und nicht auf elektronischem Wege einzureichen sind.
1.3.1 Ist die Verwendung eines Vordrucks verbindlich? Wenn ja, wo ist dieser Vordruck erhältlich?
Nein, es gibt keinen speziellen Vordruck.
1.3.2 Ist ein rechtsanwaltlicher Beistand erforderlich?
Grundsätzlich ja. In manchen Fällen kann sich der Gläubiger auch selbst vor Gericht vertreten. Das ist der Fall, wenn die Forderung vor dem Friedensrichter verhandelt wird und der Streitwert nicht mehr als 1 100 EUR beträgt oder wenn der Gläubiger bei dem Gericht als Anwalt zugelassen ist.
1.3.3 Sind die Gründe für die Forderung eingehend darzulegen?
In dem Antrag sind die Forderung und die Gründe für die Forderung darzulegen. Die Gründe müssen nicht ausführlich erläutert werden. Die relevanten Fakten und Unterlagen können auch in zusammengefasster Form vorgelegt werden.
1.3.4 Sind schriftliche Nachweise für die geltend gemachten Ansprüche vorzubringen? Wenn ja, welche Schriftstücke sind als Belege zulässig?
Ja. Als schriftliche Nachweise kommen insbesondere Lieferbescheinigungen und einseitige schriftliche Zusagen in Betracht. Wenn die Forderung die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen betrifft und eine solche Leistung von einem Unternehmen an ein anderes Unternehmen oder an eine nicht gewerblich tätige Person erfolgt ist, können auch authentische Auszüge aus der ordnungsgemäßen Buchführung des Gläubigerunternehmens als schriftlicher Nachweis vorgelegt werden. Geschäftliche Rechnungen sind ebenfalls als schriftlicher Nachweis der Forderung geeignet, wenn ihnen die gestempelte Kopie aus dem Rechnungsregister des Gläubigers beigefügt ist.
Sonderregelungen gelten für Gebühren- und Erstattungsforderungen von Rechtsanwälten, Notaren und Angehörigen anderer Berufsgruppen sowie für Forderungen des Staates und öffentlicher Behörden.
1.4 Abweisung des Antrags
Wenn das Gericht zu der Auffassung gelangt, dass die Forderung unzureichend begründet ist, wird der Antragsteller von der Geschäftsstelle des Gerichts darüber informiert und aufgefordert, weitere Nachweise vorzulegen. Wenn der Antragsteller dem nicht nachkommt, seinen Antrag aber auch nicht zurückzieht, und dem Antrag nicht stattgeben werden kann, weist das Gericht ihn mit einer begründeten Entscheidung ab.
In diesem Fall hat der Antragsteller die Möglichkeit, einen neuen Antrag für seine Forderung zu stellen und ein besonderes oder ein ordentliches Verfahren anzustrengen.
1.5 Rechtsbehelf
Die Ablehnung kann weder vor dem Berufungsgericht noch vor dem Kassationsgericht angefochten werden.
1.6 Widerspruch
Wenn das Gericht dem Antrag stattgibt, erlässt es einen Mahnbescheid, der dem Antragsgegner in Italien innerhalb von 60 Tagen und außerhalb Italiens binnen 90 Tagen nach Verkündung der Entscheidung zuzustellen ist.
Innerhalb von 40 Tagen nach Erhalt des Mahnbescheids kann der Schuldner Widerspruch einlegen.
In begründeten Fällen kann die Widerspruchsfrist auf 10 Tage verkürzt bzw. auf 60 Tage verlängert werden. Ist der Antragsgegner in einem anderen Mitgliedstaat der EU wohnhaft, beträgt die Widerspruchsfrist 50 Tage und kann auf 20 Tage verkürzt werden. Ist der Antragsgegner in einem Drittstaat wohnhaft, beträgt die Frist 60 Tage und kann auf 30 Tage verkürzt oder auf 120 Tage verlängert werden.
Der Antragsgegner kann auch nach Ablauf der Frist Widerspruch gegen die Forderung einlegen, wenn er nachweisen kann, dass er aufgrund einer Unregelmäßigkeit bei der Zustellung des Mahnbescheids oder aus unvorhersehbaren Gründen oder infolge höherer Gewalt nicht fristgerecht in Kenntnis gesetzt wurde. Zehn Tage nach der ersten Vollstreckungsmaßnahme kann kein Widerspruch mehr eingelegt werden.
Widerspruch gegen den Mahnbescheid (opposizione) wird bei dem Gericht, das ihn erlassen hat, durch Zustellung (citazione) an den Gläubiger unter seiner im Antrag angegebenen Anschrift eingelegt. Der Widerspruch gegen den Mahnbescheid muss die in einer Ladung üblichen Angaben enthalten. Der Antragsgegner muss insbesondere die Gründe für seinen Widerspruch gegen die Forderung darlegen.
1.7 Folgen des Widerspruchs
Der Widerspruch führt zu einem ordentlichen Verfahren, in dem das Gericht die Rechtmäßigkeit der Zahlungsforderung prüft.
1.8 Folgen mangels Widerspruchs
Erfolgt innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist kein Widerspruch oder versäumt es der Antragsgegner, vor Gericht zu erscheinen, wird der Bescheid auf Antrag des Gläubigers vom Gericht für vollstreckbar erklärt.
1.8.1 Welche Schritte sind nötig, um einen Vollstreckungsbescheid zu erwirken?
Vier Szenarien sind möglich.
Das erste Szenario tritt ein, wenn die Frist für den Widerspruch gegen die Forderung noch nicht abgelaufen ist. Der Antragsteller kann bei Gericht beantragen, dass der Bescheid vorläufig mit sofortiger Wirkung für vollstreckbar erklärt wird. Dies ist nur möglich, wenn die besonderen Voraussetzungen für eine vorläufige Durchsetzung nach der Zivilprozessordnung gegeben sind: wenn z. B. die Forderung auf einem Wechsel oder Scheck beruht oder wenn eine verzögerte Durchsetzung dem Gläubiger schweren Schaden zufügen würde. Als Voraussetzung für die vorläufige Vollstreckung in diesem frühen Stadium kann das Gericht vom Gläubiger eine Sicherheitsleistung zugunsten des Schuldners verlangen.
Das zweite Szenario tritt ein, wenn ein Schuldner, dem der Mahnbescheid zugestellt worden ist, seinen Widerspruch nicht fristgerecht eingelegt hat. In dem Fall kann der Gläubiger einen Antrag auf Vollstreckung des Mahnbescheids stellen.
Das dritte Szenario tritt ein, wenn der Schuldner Widerspruch eingelegt hat und die Sache noch anhängig ist. In diesem Fall kann der Gläubiger einen Antrag auf vorläufige Vollstreckung des Mahnbescheids stellen. Diesem Antrag wird nur stattgegeben, wenn die in der Zivilprozessordnung vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind (wenn z. B. mit dem Widerspruch keine schriftlichen Nachweise vorgelegt worden sind). Das Gericht kann die vorläufige Vollstreckung auch für einen Teil des Bescheids bis zur Höhe des Betrags anordnen, den der Schuldner nicht angefochten hat. Außerdem kann das Gericht die vorläufige Vollstreckung des Bescheids anordnen, wenn der Gläubiger eine Sicherheit in Höhe des gegebenenfalls zu erstattenden Betrags zuzüglich Kosten und Entschädigungen leistet.
Das vierte Szenario tritt ein, wenn der Widerspruch abgelehnt wird. Danach wird der Mahnbescheid für vollstreckbar erklärt, sofern dies nicht bereits geschehen ist.
Wenn ein Mahnbescheid aufgrund eines der genannten Szenarien für vollstreckbar erklärt worden ist, kann der Gläubiger zudem eine hypothekarische Belastung des Vermögens des Schuldners erwirken.
1.8.2 Ist diese Entscheidung endgültig oder besteht für den Antragsgegner noch die Möglichkeit, dagegen Widerspruch einzulegen?
Ein Mahnbescheid, der vollstreckbar geworden ist, weil der Schuldner keinen Widerspruch eingelegt hat, kann nur in gesetzlich vorgesehenen Ausnahmefällen aufgehoben werden (z. B. wenn festgestellt wird, dass die Entscheidung des Gerichts aufgrund von Nachweisen ergangen ist, die sich im Nachhinein als falsch herausgestellt haben). Wenn von dem Mahnbescheid auch die Rechte Dritter betroffen sind, können diese ebenfalls Widerspruch einlegen.
Gegen ein Urteil zum Abschluss eines Widerspruchsverfahrens kann auf dem üblichen Wege Rechtsbehelf eingelegt werden.
Anhänge
►Die italienische Verfassung (EN)
https://www.senato.it/sites/default/files/media-documents/COST_INGLESE.pdf
►Portal der italienischen Rechtsvorschriften (IT)
https://www.normattiva.it/?language=en
►Die italienische Zivilprozessordnung (IT)
http://www.altalex.com/documents/codici-altalex/2015/01/02/codice-di-procedura-civile
►The Code of administrative trial (EN)
►Code de justice administrative (FR)
► Italienische Verwaltungsprozessordnung (DE)
► Das italienische Justizsystem (IT/EN)
https://www.csm.it/web/csm-internet/magistratura/il-sistema-giudiziario=
► Steuerverfahrensordnung (IT)
► Website des Justizministeriums (IT)
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