BGH, Urteil vom 27. 1. 2000 - I ZR 241/97 (Stuttgart)
Zum Sachverhalt:
Die Kl. ist ein eingetragener Verein. Zu ihren satzungsgemäßen Aufgaben gehört es, die Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung wahrzunehmen. Die Bekl. ist eine Genossenschaftsbank. Sie vermittelt im Rahmen eines Agenturverhältnisses auch Versicherungsverträge für die R Versicherungsgruppe. Eine Kundin der Bekl. unterzeichnete im Herbst 1994 zwei Anträge zur Eröffnung von Sparkonten, deren vorgedruckter Text unter Nr. 3 lautet: „Der Konto-/Depotinhaber ist mit der persönlichen und telefonischen Beratung in Geldangelegenheiten durch die Bank „einverstanden/nicht einverstanden“. In beiden Anträgen ist das Kästchen vor dem Wort „einverstanden“ angekreuzt. Ein Mitarbeiter der Bekl. rief im November 1995 bei der Kundin an und vereinbarte mit ihr einen Besuchstermin „wegen einer Steuerersparnissache“. Während des Termins bot er ihr den Abschluss einer Kapitallebensversicherung bei der R Lebensversicherung AG an. Die Kl. hat zuletzt beantragt, es der Bekl. zu untersagen, Letztverbraucher außerhalb einer Versicherungsfragen betreffenden laufenden Geschäftsverbindung unaufgefordert und ohne deren Einverständnis anrufen zu lassen, um einen Besuchstermin zu vereinbaren, der dem Abschluss eines Versicherungsvertrags dienen soll, wobei es als Einverständnis insbesondere nicht ausreicht, wenn der Angerufene bei der Bekl. einen Antrag auf Eröffnung eines Sparkontos unterzeichnet hat, der formularmäßig die Klausel enthält, dass der Kontoinhaber mit der persönlichen und telefonischen Beratung in Geldangelegenheiten durch die Bank einverstanden sei.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das BerGer. hat die Bekl. antragsgemäß verurteilt (OLG Stuttgart, BB 1997, 2181 = WM 1998, 2054 = WuB V B § 1 UWG 1.99). Die Revision der Bekl. blieb ohne Erfolg.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. hat ausgeführt, der von der Bekl. veranlasste Telefonanruf sei wettbewerbswidrig. Telefonanrufe bei Privaten zu Werbezwecken seien, auch wenn sie der Vorbereitung eines häuslichen Vertreterbesuchs dienten, nur zulässig, wenn sich der Angerufene zuvor mit einem solchen Anruf einverstanden erklärt habe. Ein derartiges Einverständnis sei den Erklärungen der Kundin in den Kontoeröffnungsanträgen nicht zu entnehmen. Ihr Einverständnis mit der telefonischen Beratung in Geldangelegenheiten durch die Bank erstrecke sich unter Berücksichtigung der Unklarheitenregel des AGB-Gesetzes nicht auf die telefonische Vereinbarung eines Termins wegen einer Versicherungsangelegenheit. Auf ein mutmaßliches Einverständnis des Angerufenen komme es bei dem gewerblichen Anruf im privaten Bereich nicht an.
II. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision haben im Ergebnis keinen Erfolg. Der Kl. steht gegen die Bekl. nach §§ 1 , 13 II Nr. 3 IV UWG der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu.
1. Die Kl. ist als rechtsfähiger Verband, zu dessen satzungsgemäßen Aufgaben es gehört, die Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung wahrzunehmen, gem. § 13 II Nr. 3 UWG befugt, den auf § 1 UWG gestützten Unterlassungsanspruch geltend zu machen, da unerbetene Telefonwerbung in erheblichem Maße die persönlichen Belange des privaten Endverbrauchers beeinträchtigt und damit wesentliche Belange der Verbraucher berührt (vgl. BGH, NJW 1989, 2820 = LM § 1 UWG Nr. 522 = GRUR 1989, 753 [754] = WRP 1990, 169 - Telefonwerbung II; NJW-RR 1990, 359 = LM § 1 UWG Nr. 544 = GRUR 1990, 280 [281] = WRP 1990, 288 - Telefonwerbung III).
2. Das BerGer. ist zutreffend davon ausgegangen, dass ein Telefonanruf im Privatbereich zu Werbezwecken grundsätzlich gegen die guten Sitten des Wettbewerbs verstößt und nur dann ausnahmsweise zulässig ist, wenn der Angerufene zuvor ausdrücklich oder konkludent sein Einverständnis mit einem solchen Anruf erklärt hat. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des BGH zu den Grenzen geschäftlicher Telefonwerbung (BGH, NJW-RR 1995, 613 = LM H. 6/1995 § 1 UWG Nr. 677 = GRUR 1995, 220 - Telefonwerbung V m.w. Nachw.; BGHZ 141, 124 = NJW 1999, 1864 = LM H. 8/1999 D Nr. 34; BGHZ 141, 137 = NJW 1999, 2279 = LM H. 9/1999 § 8 AGBG Nr. 34). Dies gilt auch für Anrufe, die - wie hier - der Vorbereitung eines häuslichen Vertreterbesuchs dienen (BGH, NJW 1994, 1071 = LM H. 6/1994 § 1 UWG Nr. 643 = GRUR 1994, 380 [381f.] = WRP 1994, 262 - Lexikothek m.w. Nachw.). Ein mutmaßliches Einverständnis des Angerufenen kann eine Telefonwerbung im geschäftlichen Bereich, nicht aber im privaten Bereich rechtfertigen (vgl. BGHZ 113, 282 [284f.] = NJW 1991, 2087 = LM H. 1/1992 § 1 UWG Nr. 571 - Telefonwerbung IV; BGH, NJW 1994, 1071 = LM H. 6/1994 § 1 UWG Nr. 643 = GRUR 1994, 380 [382] - Lexikothek). Es ist demnach grundsätzlich wettbewerbswidrig, den Inhaber eines Fernsprechanschlusses in dessen privatem Bereich ohne dessen zuvor ausdrücklich oder konkludent erklärtes Einverständnis anzurufen, um einen Besuchstermin zu vereinbaren, der dem Neuabschluss eines Versicherungsvertrags dienen soll.
3. Das BerGer. hat im Ergebnis auch zutreffend angenommen, dass kein wirksames Einverständnis der Kundin mit dem Anruf des Mitarbeiters der Bekl. vorlag.
a) Das BerGer. ist zu Recht davon ausgegangen, dass die in den Kontoeröffnungsanträgen enthaltene Einverständniserklärung nach § 1 I AGBG als Allgemeine Geschäftsbedingung zu behandeln ist. Auch auf eine vom Verwender vorformulierte einseitige rechtsgeschäftliche Erklärung des anderen Teils, die im Zusammenhang mit einem Vertragsverhältnis steht, sind mit Rücksicht auf den Schutzzweck des AGB-Gesetzes dessen Vorschriften anzuwenden (BGHZ 98, 24 [28] = NJW 1986, 2428 = LM § 662 BGB Nr. 38 m.w. Nachw.). Dabei ist es ohne Bedeutung, ob der Kunde die Wahl zwischen bestimmten, vom Verwender vorgegebenen Alternativen hat (BGH, NJW 1992, 503 = LM H. 3/1992 § 9 [Bl] AGBG Nr. 40; NJW 1996, 1208 m.w. Nachw.). Entscheidend ist, dass der Verwender - wie im vorliegenden Fall - bei der von den Kunden abzugebenden Erklärung die rechtsgeschäftliche Gestaltungsfreiheit für sich ebenso in Anspruch nimmt wie bei der Vorformulierung eines Vertragstextes, und dass der Kunde nur darauf, ob er die Erklärung abgeben will, nicht aber auf ihren Inhalt, Einfluss hat (vgl. BGHZ 141, 124 = NJW 1999, 1864 = LM H. 8/1999 § 1 AGBG Nr. 34).
b) Die Auslegung der von der Bekl. vorformulierten Einverständniserklärung der Kundin durch das BerGer. ist vom RevGer. uneingeschränkt nachzuprüfen (vgl. BGH, NJW 1990, 2313 = LM § 9 [A] AGBG Nr. 4; BGHZ 129, 297 [300] = NJW 1995, 2028 = LM H. 9/1995 § 242 [Bb] BGB Nr. 156; BGH, NJW 1998, 1066 = LM H. 11/1998 § 1 AGBG Nr. 29 = WRP 1998, 615 [618]), da die Allgemeine Geschäftsbedingung nach den Feststellungen des BerGer. bundesweit von allen V.-Banken verwendet wird. Der Senat kann allerdings offen lassen, ob der Begriff der Geldangelegenheiten - wie das BerGer. ausführt - sich im gegebenen Zusammenhang auf Bankgeschäfte im Sinne des Kreditwesengesetzes beschränkt oder - wie die Revision meint - nach heutigem Verständnis weit ausgelegt werden muss und Geldanlagen in Versicherungen, Bausparverträgen oder sonstigen Finanzdienstleistungsprodukten umfasst (vgl. auch Reischauer/Kleinhans, KWG, Losebl., Stand: August 1998, § 1 Rdnr. 5a; Beck, KWG, Losebl., Stand: Oktober 1999, § 1 Rdnr. 49). Auch wenn die Allgemeinen Geschäftsbedingungen mit dem Einverständnis der Kundin zur - auch telefonischen - Beratung in Geldangelegenheiten weit auszulegen wären und danach auch in Telefonwerbung der Bekl. für den Abschluss einer Kapitallebensversicherung bei ihrer Kooperationspartnerin eingewilligt worden wäre, so ist die Klausel doch als unangemessene Benachteiligung nach § 9 AGBG unwirksam (vgl. BGHZ 141, 124 = NJW 1999, 1864 = LM H. 8/1999 § 1 AGBG Nr. 34; BGHZ 141, 137 = NJW 1999, 2279 = LM H. 9/1999 § 8 AGBG Nr. 34).
Die Klausel ist gem. § 8 AGBG am Maßstab des § 9 AGBG zu messen, da sie von der gesetzlichen Regelung des § 1 UWG in ihrer Ausprägung durch die Rechtsprechung abweicht, nach der Telefonwerbung gegenüber Privaten grundsätzlich unzulässig ist. Geboten ist insoweit in Verbandsklageverfahren nach § 13 II Nr. 3 UWG ebenso wie bei Verbandsklagen gem. § 13 II Nr. 1 AGBG eine generalisierende und die beiderseitigen Interessen abwägende Betrachtung. Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind nach § 9 I AGBG unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen; dies ist nach § 9 II Nr. 1 AGBG im Zweifel anzunehmen, wenn sie mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren sind. So liegt es hier. Der wettbewerbsrechtlichen Missbilligung unerbetener Telefonwerbung im privaten Bereich liegt der Gedanke zu Grunde, dass der Schutz der Individualsphäre vorrangig gegenüber dem wirtschaftlichen Gewinnstreben von Wettbewerbern ist, und dass die berechtigten Interessen der gewerblichen Wirtschaft, ihre Produkte werbemäßig anzupreisen, es angesichts der Vielfalt der Werbemethoden nicht erfordern, mit der Werbung auch in den privaten Bereich des umworbenen Verbrauchers einzudringen (st.Rspr.; BGH, NJW-RR 1995, 613 = LM H. 6/1995 § 1 UWG Nr. 677 = GRUR 1995, 220 - Telefonwerbung V m.w. Nachw.; BGHZ 141, 124 = NJW 1999, 1864 = LM H. 8/1999 § 1 AGBG Nr. 34; BGHZ 141, 137 = NJW 1999, 2279 = LM H. 9/1999 § 8 AGBG Nr. 34). Danach ist es bei einer generalisierenden Abwägung der beiderseitigen Interessen gerade auch gegenüber dem in seiner Privatsphäre geschützten Werbeadressaten unangemessen, wenn Kontoeröffnungsanträge von Banken eine vorformulierte Einverständniserklärung des Kunden enthalten, die eine telefonische Werbung der Bank für Vertragsabschlüsse in anderweitigen Geldangelegenheiten ermöglichen soll, die über das Vertragsverhältnis mit der Bank, mit dem die Abgabe der Einverständniserklärung in Zusammenhang steht, hinausgehen (BGHZ 141, 124 = NJW 1999, 1864 = LM H. 8/1999 § 1 AGBG Nr. 34). Die Unangemessenheit der Klausel wird entgegen einer im Schrifttum vertretenen Auffassung (vgl. v. Westphalen, BB 1999, 1131; Imping, MDR 1999, 857) nicht dadurch ausgeräumt, dass die vorformulierte Einverständniserklärung jederzeit widerruflich ist, denn damit wird die Initiative zur Wiederherstellung der ungestörten Privatsphäre in unzulässiger Weise auf den Betroffenen verlagert (BGHZ 141, 124 = NJW 1999, 1864 = LM H. 8/1999 § 1 AGBG Nr. 34; BGHZ 141, 137 = NJW 1999, 2279 = LM H. 9/1999 § 8 AGBG Nr. 34).
4. Der Beurteilung der beanstandeten Telefonwerbung als wettbewerbswidrig steht die Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 20. 5. 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (Fernabsatzrichtlinie - ABlEG Nr. L 144 v. 4. 6. 1997, S. 19), deren Umsetzungsfrist am 4. 6. 2000 abläuft, nicht entgegen. Zum einen enthält die Richtlinie nur eine Mindestregelung, die den Mitgliedstaaten grundsätzlich einen weitergehenden Schutz der Verbraucher freistellt (Art. 14 Fernabsatzrichtlinie). Sodann findet die Richtlinie nach ihrem Art. 3 I Spiegelstrich 1 keine Anwendung auf Verträge über Finanzdienstleistungen, zu denen gem. Anhang II Spiegelstrich 2 auch Versicherungsgeschäfte zählen. Soweit eine spezielle Richtlinie für den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen geplant ist, die nicht nur den Mindest-, sondern auch den zulässigen Höchststandard beschreiben soll, kann dies noch nicht berücksichtigt werden. Insoweit liegt bislang lediglich der 1998 vorgelegte Vorschlag der Kommission vor.