BGH, Urteil vom 22. 11. 2000 - IV ZR 235/99 (München)
Zum Sachverhalt:
Der Kl. ist ein rechtsfähiger Verein, der nach seiner Satzung die Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung wahrnimmt. Die Bekl. ist ein bundesweit tätiges Versicherungsunternehmen. Sie bietet unter anderem eine Auslandsreise-Krankenversicherung an. Die von ihr für diese Versicherung aufgestellten und verwendeten Allgemeinen Versicherungsbedingungen Tarif R 14 (AVB) enthalten unter anderem folgende Klauseln:
§ 1. Gegenstand, Umfang und Geltungsbereich des Versicherungsschutzes. … (2) Der Versicherer bietet Versicherungsschutz für Krankheiten, Unfälle und andere im Vertrag genannte Ereignisse. Bei einem im Ausland unvorhergesehen eintretenden Versicherungsfall ersetzt er dort entstehende Aufwendungen für Heilbehandlung und erbringt sonst vereinbarte Leistungen.
(3) Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen …
(5) Als Ausland im Sinne von Abs. 2 gilt nicht das Staatsgebiet, dessen Staatsangehörigkeit die versicherte Person besitzt oder in dem sie einen ständigen Wohnsitz hat. Besitzt eine versicherte Person sowohl die deutsche Staatsangehörigkeit als auch die eines anderen Staates oder ist sie Staatsangehörige eines EG-Staates, besteht Versicherungsschutz auch in dem Staatsgebiet, dessen ausländische Staatsangehörigkeit die versicherte Person besitzt.
(6) Der Versicherungsschutz besteht für alle vorübergehenden Auslandsreisen, die von der versicherten Person innerhalb eines Versicherungsjahres angetreten werden. Die Dauer des einzelnen Auslandsaufenthalts darf dabei jedoch einen Zeitraum von sechs Wochen (42 Tage) nicht überschreiten …
(7) Aufnahmefähig sind Personen bis zum vollendeten 70. Lebensjahr, deren ständiger Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland liegt.
§ 5. Einschränkungen der Leistungspflicht. (1) Keine Leistungspflicht besteht für …
g) Untersuchung und Behandlung zur Schwangerschaftsüberwachung, ferner für Entbindung und Schwangerschaftsabbruch sowie deren Folgen.
Der Kl. hat von der Bekl. verlangt es zu unterlassen, die Klauseln der §§ 1 V 1, 4 III 2, 5 Ic und 5 Ig oder inhaltlich gleiche Klauseln unter Meidung eines Ordnungsgeldes oder von Ordnungshaft zu verwenden sowie sich auf diese Klauseln bei der Abwicklung von nach dem 1. 4. 1977 geschlossenen Verträgen zu berufen, es sei denn gegenüber einem Kaufmann im Rahmen seines Handelsgewerbes. Das LG hat der Klage hinsichtlich der §§ 1 V 1 und 4 III 2 AVB stattgegeben; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kl., mit der er den Unterlassungsantrag zu § 5 Ig AVB weiterverfolgt hat, und die Berufung der Bekl. sind erfolglos geblieben (NVersZ 2000, 74). Mit der (zugelassenen) Revision verfolgte der Kl. seinen Berufungsantrag weiter; die Bekl. begehrte mit ihrer (insoweit zugelassenen) Revision die Abweisung des Unterlassungsanspruchs hinsichtlich § 1 V 1 AVB.
Die Revision des Kl. hatte Erfolg, während der Revision der Bekl. der Erfolg versagt blieb.
Aus den Gründen:
A. Die Revision der Bekl.
I. Das BerGer. erachtet § 1 V 1 AVB als unwirksam, weil die Klausel einer Kontrolle nach § 9 AGBG nicht Stand halte. § 8 ABGB stehe ihrer Überprüfung nicht entgegen. Sie gehöre nicht zu dem engen, einer gerichtlichen Inhaltskontrolle entzogenen Bereich der Leistungsbeschreibung, ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden könne. Der wesentliche Vertragsinhalt werde bereits mit § 1 II AVB beschrieben; dieser Kernbereich werde allenfalls noch durch § 1 III AVB ergänzt. Dagegen schränke § 1 V 1 AVB das so beschriebene Hauptleistungsversprechen ein und sei deshalb kontrollfähig.
Die Klausel erweise sich als unwirksam, denn sie benachteilige einen Teil der ausländischen Versicherungsnehmer der Bekl. entgegen den Geboten von Treu und Glauben in einer den Vertragszweck gefährdenden Weise unangemessen (§ 9 I , II Nr. 2 AGBG). Ausländische Staatsangehörige mit ständigem Wohnsitz in Deutschland bevorzugten als Urlaubsland ihr jeweiliges Heimatland. § 1 V 1 AVB verweigere solchen Versicherungsnehmern den Versicherungsschutz bei einer Reise in ihr Heimatland vollständig. Das benachteilige diese Versicherungsnehmer ausländischer Staatsangehörigkeit unangemessen, ohne dass sachgerechte Interessen der Bekl. ersichtlich seien, die in Abwägung mit den Interessen der betroffenen Versicherungsnehmer eine so schwer wiegende Einschränkung des Versicherungsschutzes rechtfertigen könnten.
II. Das BerGer. hat im Ergebnis zu Recht die Unwirksamkeit der streitbefangenen Klausel festgestellt.
1. § 8 AGBG hindert - entgegen der Auffassung der Revision - ihre Kontrolle nicht.
a) § 8 AGBG beschränkt die Inhaltskontrolle nach §§ 9 bis 11 AGBG auf Klauseln, die von Rechtsvorschriften abweichen oder diese ergänzen. Die Vorschrift soll, so die Begründung des Regierungsentwurfs, weder eine Kontrolle der Preise oder Leistungsangebote ermöglichen, noch sollen Vorschriften anderer Gesetze modifiziert werden (BT-Dr 7/3919, S. 22). Da das Gesetz den Vertragspartnern grundsätzlich freistellt, Leistung und Gegenleistung im Vertrag frei zu bestimmen, unterliegen bloße Abreden über den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistung (sog. Leistungsbeschreibung) der gesetzlichen Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz ebenso wenig wie Vereinbarungen über das von dem anderen Teil zu erbringende Entgelt (st.Rspr., BGHZ 93, 358 [360] = NJW 1985, 3013 = LM § 8 AGBG Nr. 8 m.w. Nachw.). Der gerichtlichen Inhaltskontrolle entzogene Leistungsbeschreibungen sind solche, die Art, Umfang und Güte der geschuldeten Leistung festlegen. Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren, sind hingegen inhaltlich zu kontrollieren. Damit bleibt für die der Überprüfung entzogene Leistungsbeschreibung nur der enge Bereich der Leistungsbezeichnungen, ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann (st.Rspr., BGHZ 127, 35 [41] = NJW 1994, 2693 = LM H. 1/1995 § 9 [Bk] AGBG Nr. 22; BGHZ 141, 137 [141] = NJW 1999, 2279 = NVersZ 1999, 360 = LM H. 9/1999 § 8 AGBG Nr. 34).
b) Art. 4 II EG-Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (kurz: RiLi, ABlEG Nr. L 95, S. 29 = NJW 1993, 1838) führt - entgegen der Auffassung der Revision - im Ergebnis nicht zu einer Erweiterung dieses der gerichtlichen Kontrolle entzogenen Bereichs (vgl. Römer, in: Festschr. aus Anlass des 50-jährigen Bestehens von BGH, Bundes- u. Rechtsanwaltschaft beim BGH, S. 375 [382]; Kieninger, VersR 1999, 951 [952]; Basedow, NVersZ 1999, 349; a.A. Langheid, NVersZ 2000, 63). Das gilt auch dann, wenn § 8 AGBG in der Auslegung, die er durch die Rechtsprechung des BGH erfahren hat, im Schutze des Verbrauchers als weiter gehend anzusehen sein sollte als Art. 4 II RiLi, der - soweit hier von Belang - den „Hauptgegenstand des Vertrags“ von der Beurteilung der Missbräuchlichkeit ausnimmt, sofern die Klausel klar und verständlich abgefasst ist. Der Zweck der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln, Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet anzugleichen, bezieht sich nur auf ein Schutzminimum (Römer, S. 375 [382]). Denn nach Art. 8 RiLi können die Mitgliedstaaten strengere Bestimmungen erlassen, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher zu gewährleisten; Art. 8 RiLi gestattet damit ausdrücklich eine strengere Kontrolle vorformulierter Klauseln durch das nationale Recht (Basedow, NVersZ 1999, 349).
c) § 1 V 1 AVB gehört nicht zu dem engen Bereich, der durch § 8 AGBG einer Kontrolle entzogen ist. Gemäß § 1 II AVB bietet die Bekl. im Rahmen einer Auslandsreise-Krankenversicherung Versicherungsschutz für Krankheiten, Unfälle und andere im Vertrag genannte Ereignisse; bei einem im Ausland unvorhergesehen eintretenden Versicherungsfall verspricht sie den Ersatz der dort entstehenden Aufwendungen für Heilbehandlung und das Erbringen sonst vereinbarter Leistungen. Versicherungsfall ist nach § 1 III AVB die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob - wie das BerGer. erwägt - nur § 1 II AVB oder erst die Gesamtheit der Regelungen in § 1 II, III AVB den kontrollfreien Bereich der Leistungsbeschreibung ausmacht. Jedenfalls ist mit diesen Regelungen das Hauptleistungsversprechen bereits so beschrieben, dass der wesentliche Vertragsinhalt bestimmt werden kann.
Aus der Verwendung des Begriffs „Ausland“ in § 1 II AVB folgt entgegen der Revision nichts anderes. Er verdeutlicht die territoriale Reichweite einer „Auslandsreise“-Krankenversicherung in ihrem wesentlichen Kern. Denn gerade aus seiner Verwendung ergibt sich, dass kein Versicherungsschutz für Versicherungsfälle bei Reisen im „Inland“ zugesagt werden soll, vielmehr nur für solche, die sich im davon räumlich abgegrenzten „Ausland“ ereignen. Dass damit hinsichtlich der Reichweite der Auslandsreise-Krankenversicherung der wesentliche Vertragsinhalt nicht ausreichend bestimmt oder bestimmbar sei, ist nicht zu erkennen.
Vor diesem Hintergrund gehört § 1 V AVB nicht mehr zu dem kontrollfreien Minimum, ohne das dem Vertrag über eine Auslandsreise-Krankenversicherung ein so wesentlicher Bestandteil fehlte, dass ihm die Wirksamkeit zu versagen wäre. Denn nach dieser Regelung soll als Ausland nicht das Staatsgebiet gelten, dessen Staatsangehörigkeit die versicherte Person besitzt oder in dem sie einen ständigen Wohnsitz hat. Sie modifiziert damit das mit § 1 II, III AVB gegebene Hauptleistungsversprechen in einschränkender Weise. Sie schließt Versicherungsschutz vollständig aus, wenn ein ausländischer Versicherungsnehmer in das Land reist, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und versagt Versicherungsschutz zudem solchen Versicherungsnehmern, die in ein ausländisches Staatsgebiet reisen und dort einen festen Wohnsitz unterhalten.
2. § 1 V 1 AVB benachteiligt den Versicherungsnehmer wegen Verstoßes gegen das sich aus § 9 I AGBG ergebende Transparenzgebot unangemessen; er ist deshalb - wie das BerGer. im Ergebnis zu Recht feststellt - unwirksam.
a) Nach dem Transparenzgebot ist der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass die Klausel in ihrer Formulierung klar und verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben auch, dass die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (BGHZ 136, 394 [401] = NJW 1998, 454 = NVersZ 1998, 29 = LM H. 7/1998 § 9 [Bk] AGBG Nr. 34; BGHZ 141, 137 [143] = NJW 1999, 2279 = NVersZ 1999, 360). Diesen Erfordernissen entspricht § 1 V 1 AVB nicht, wobei hinsichtlich seiner Transparenz auf die gesamte Regelung des § 1 V AVB abzustellen ist, in die Satz 1 eingegliedert ist.
b) Mit ihrem Hauptleistungsversprechen sagt die Bekl. Versicherungsschutz bei im Ausland unvorhergesehen eintretenden Versicherungsfällen zu (§ 1 II 2 AVB). Sie grenzt die territoriale Erstreckung der angebotenen Reisekrankenversicherung mithin lediglich dadurch ein, dass im Nichtausland, also im Inland, kein Versicherungsschutz versprochen wird. Die Bekl. sagt demgemäß - abgesehen von dieser Eingrenzung - grundsätzlich weltweite Auslandsdeckung zu. Dass sie ihr Hauptleistungsversprechen auch selbst so verstanden sehen will, ergibt sich im Übrigen aus von ihr vorgelegten, mit den AVB verbundenen Hinweisen, die mit der Überschrift eingeleitet werden „Weltweit Versicherungsschutz auf Urlaubsreisen“. Bei der Einschränkung des Versicherungsschutzes durch § 1 V AVB knüpft die Bekl. zwar weiter an den Begriff Ausland an, beschreibt die Ausnahmen vom Versicherungsschutz aber nicht mehr nur territorial, sondern unter Hinzufügen von weiteren Kriterien, die an die Person des Versicherten, nämlich an seine Staatsangehörigkeit oder seinen ständigen Wohnsitz, anknüpfen. Diese Beschränkung des Versicherungsschutzes hebt die Bekl. aber sogleich durch § 1 V 2 AVB teilweise wieder auf, indem sie Versicherungsnehmern mit Doppelstaatsbürgerschaft - also der deutschen und einer anderen Staatsbürgerschaft - und Versicherungsnehmern mit der Staatsangehörigkeit eines EG-Staates bei Reisen in das Staatsgebiet, dessen Staatsangehörigkeit der Versicherungsnehmer besitzt, Versicherungsschutz zusagt.
Damit aber hat die Bekl. ein Regelungsgefüge geschaffen, das dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer die mit Satz 1 des § 1 V AVB bestimmten Einschränkungen des Versicherungsschutzes in ihrer Reichweite wenn überhaupt, so erst nach Interpretation der gesamten Klausel unter Einschluss der Gegenausnahmen erkennbar macht. Der Kern der Beschränkung des Versicherungsschutzes, nämlich insbesondere der für Versicherungsnehmer mit ausländischer (nicht EG-)Staatsangehörigkeit bestimmte vollständige Ausschluss vom Versicherungsschutz bei Reisen in ihr Heimatland, wird den betroffenen Versicherungsnehmern nicht nur nicht klar und deutlich vor Augen geführt, sondern durch die Verknüpfung des territorialen Auslandsbegriffs mit dem personalen Kriterium der Staatsangehörigkeit und den damit verbundenen Gegenausnahmen vielmehr verdunkelt. Letzteres gilt auch, soweit die Bekl. den Ausschluss vom Versicherungsschutz daran bindet, dass der Versicherungsnehmer einen weiteren ständigen Wohnsitz in einem anderen Staatsgebiet als dem der Bundesrepublik Deutschland hat, der seinerseits zugleich die Voraussetzung für seine Aufnahme in die Versicherung darstellt (§ 1 VII AVB). Wie sich aber dieser Ausschlusstatbestand zu dem in § 1 V 2 AVB geregelten Wiedereinschluss in den Versicherungsschutz verhält, bleibt für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer schon wegen der in der Klausel angelegten mehrfachen Differenzierungen unklar.
Beispiele, die die Ausschlussklausel in ihren beiden Zielrichtungen erläutern und verständlich machen könnten, hat die Bekl. dem Versicherungsnehmer mit ihren Bedingungen nicht gegeben. Solche kann der Versicherungsnehmer im Übrigen auch den mit den Bedingungen verbundenen Hinweisen nicht entnehmen. Der Umfang des Versicherungsschutzes, der sich unter Berücksichtigung des § 1 V AVB ergibt, ist deshalb für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht durchschaubar.
B. Die Revision des Kl.
I. Das BerGer. meint, die Klausel des § 5 Ig AVB sei gem. § 8 AGBG nicht kontrollfähig. Sie korrespondiere mit dem Hauptleistungsversprechen der Bekl. in § 1 II AVB, wonach die Bekl. Versicherungsschutz für Krankheiten biete. Eine Schwangerschaft stelle aber keine Krankheit dar. Die Klausel nehme daher nur die vertragswesentliche Leistungsbeschreibung auf und stelle klar, dass Maßnahmen der Schwangerschaftsüberwachung, die Entbindung oder ein Schwangerschaftsabbruch nicht vom Leistungsumfang der Versicherung umfasst seien. Die Kontrollfreiheit der Klausel entfalle auch nicht gem. § 4 II RiLi, denn die Klausel sei nicht intransparent. Diesen Erwägungen folgt der Senat nicht.
II. Die Klausel des § 5 Ig AVB benachteiligt den Versicherungsnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen (§ 9 I AGBG); sie ist deshalb unwirksam.
1. a) Vor der Prüfung, ob § 5 Ig AVB lediglich eine klarstellende Wiederholung des Hauptleistungsversprechens in § 1 II AVB enthält, ist der Inhalt der Klausel durch Auslegung zu ermitteln. Sie ist dabei so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Klausel bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss (BGHZ 123, 83 [85] = NJW 1993, 2369 = LM H. 11/1993 § 9 [Bk] AGBG Nr. 20). Wenn der Versicherungsnehmer bei Durchsicht der Bedingungen der Bekl. zu § 5 Ig AVB gelangt, hat er bereits zur Kenntnis genommen, dass ihm die Bekl. Versicherungsschutz verspricht, wenn er sich im Ausland unvorhergesehen wegen Krankheit oder Unfallfolgen einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung unterziehen muss (§ 1 II, III AVB). § 5 AVB will demgegenüber, wie seiner Überschrift zu entnehmen ist, Einschränkungen dieser - durch § 4 AVB im Umfang näher erläuterten - Leistungspflicht regeln. Schon dieser Zusammenhang macht dem um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer deutlich, dass mit der Klausel auch Fälle erfasst werden sollen, in denen zwar grundsätzlich eine Leistungspflicht besteht, der Versicherer aber gleichwohl nicht leisten will. Vor diesem Hintergrund versteht der Versicherungsnehmer den mit § 5 Ig AVB geregelten Leistungsausschluss „für Untersuchung und Behandlung zur Schwangerschaftsüberwachung, ferner für Entbindung und Schwangerschaftsabbruch“ dahin, dass in diesem Zusammenhang vorgenommene medizinisch notwendige Heilbehandlungen den Versicherer selbst dann nicht zur Leistung verpflichten, wenn diese - unvorhergesehen - (§ 1 II AVB) in Anspruch genommen worden sind. Der Wortlaut der Klausel steht einem solchen Verständnis nicht entgegen.
Denn auch Untersuchungen und Behandlungen zur Schwangerschaftsüberwachung können bei plötzlichen und damit unvorhergesehenen Komplikationen - insoweit also wegen Krankheit - medizinisch notwendig werden. Beginnende Früh- oder Fehlgeburten können unvorhergesehen eine Entbindung erforderlich machen, und selbst ein Schwangerschaftsabbruch kann unvorhergesehen aus medizinischen Gründen geboten sein. § 5 Ig AVB schließt damit eine Leistungspflicht der Bekl. generell aus, wenn die medizinisch notwendige Heilbehandlung im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft, einer Entbindung oder einem Schwangerschaftsabbruch steht.
b) Mit diesem Inhalt modifiziert § 5 Ig AVB das mit § 1 II AVB gegebene Hauptleistungsversprechen in einschränkender Weise. Die Klausel ist daher durch § 8 AGBG einer Kontrolle nach § 9 AGBG nicht entzogen. § 4 II RiLi ändert daran - wie bereits zuvor unter A I 1b dargelegt - nichts. Auf die vom BerGer. erwogene Prüfung des Hauptleistungsversprechens am Transparenzgebot kommt es insoweit nicht an.
2. § 5 Ig AVB benachteiligt den Versicherungsnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen (§ 9 I AVB). Mit dem Leistungsausschluss für jegliche notwendige Heilbehandlung im Zusammenhang mit Schwangerschaft, Entbindung und Schwangerschaftsabbruch geht sie über die als berechtigt anzuerkennenden Interessen der Bekl. zum Nachteil des Versicherungsnehmers hinaus. Die Bekl. will mit der Auslandsreise-Krankenversicherung Versicherungsschutz nur bei „unvorhergesehen“ eintretenden Versicherungsfällen gewähren. Dem entspricht es zwar, wenn sie bei Untersuchungen und Behandlungen im Rahmen einer aus medizinischer Sicht unbeeinträchtigt verlaufenden Schwangerschaft ebenso wenig leisten will, wie für eine Entbindung, die im vorausbestimmten Zeitraum stattfindet, oder für einen Schwangerschaftsabbruch, der von vornherein geplant ist. Diesem Interesse ist aber - soweit es hier überhaupt um Krankheiten i.S. des § 1 II AVB geht - schon mit der Beschränkung der Leistungspflicht auf unvorhergesehen eintretende Versicherungsfälle Rechnung getragen. Der mit § 5 Ig AVB bestimmte vollständige Ausschluss der Leistungspflicht bei in Zusammenhang mit einer Schwangerschaft, Entbindung oder einem Schwangerschaftsabbruch unvorhergesehen eintretenden Versicherungsfällen geht über dieses Interesse hinaus. Er führt zu einer einseitigen Begünstigung der Bekl. und zugleich zu einer Vernachlässigung des berechtigten Interesses des Versicherungsnehmers, auch in solchen Ausnahmesituationen, für die er die Versicherung nimmt, Versicherungsschutz zu erhalten.