BGH, Urteil vom 19. 11. 2002 - X ZR 253/01 (Düsseldorf)
Zum Sachverhalt:
Der Kl. ist ein in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 22a AGBG (jetzt § 4 I Nr. 1 UKlaG) eingetragener Verein, zu dessen satzungsgemäßen Aufgaben es gehört, die Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung wahrzunehmen. Die Bekl. ist als Reiseveranstalter tätig und verwendete in der Sommersaison 2000 regelmäßig „Reise- und Zahlungsbedingungen“, die unter anderem folgende Regelungen enthalten:
4. Leistungs- und Preisänderungen. 4.3. Preisänderungen sind nach Abschluss des Reisevertrags im Falle der Erhöhung der Beförderungskosten oder der Abgaben für bestimmte Leistungen wie Fluggebühren in dem Umfang möglich, wie sich die Erhöhung pro Kopf bzw. pro Sitzplatz auf den Reisepreis auswirkt, wenn zwischen dem Zugang der Reisebestätigung und dem vereinbarten Reiseantritt mehr als vier Monate liegen. Sollte dies der Fall sein, werden Sie unverzüglich, spätestens jedoch 21 Tage vor Reiseantritt davon in Kenntnis gesetzt. Preiserhöhungen danach sind nicht zulässig. Bei einer Preiserhöhung von über 5% des Reisepreises oder im Fall einer erheblichen Änderung einer wesentlichen Reiseleistung sind Sie berechtigt, ohne Gebühren vom Reisevertrag zurückzutreten oder die Teilnahme an einer mindestens gleichwertigen Reise aus unserem Reiseprogramm zu verlangen, wenn wir in der Lage sind, Ihnen eine solche anzubieten. Sie haben diese Rechte unverzüglich nach der Erklärung über die Preiserhöhung oder Änderung der Reiseleistung uns gegenüber geltend zu machen.
Seit der Wintersaison 2000/2001 hat die Bekl. diese Klausel durch eine abgewandelte, im Wesentlichen jedoch inhaltsgleiche Fassung ersetzt. Der Kl. hat mit der Unterlassungsklage geltend gemacht, die in der Klausel enthaltene Regelung in 4.3 verstoße gegen §§ 9 , 10 Nr. 4 AGBG, ferner gegen § 651a III 1 BGB.
Das LG hat die Klage abgewiesen (veröffentlicht in RRa 2001, 57). Das BerGer. hat der Bekl. untersagt, die beanstandete Klausel oder dieser inhaltsgleiche Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Bezug auf Reiseverträge zu verwenden oder sich bei der Abwicklung bestehender Verträge auf solche Klauseln zu berufen, soweit der Vertrag nicht mit einem Unternehmer geschlossen wird. Die Revision der Bekl. hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. hat den Kl. als qualifizierte Einrichtung i.S. von §§ 13 , 22a AGBG für berechtigt gehalten, im Wege der Verbandsklage gegen die Verwendung der angegriffenen Klausel vorzugehen. Ferner hat das BerGer. §§ 651a ff. BGB und das AGB-Gesetz in den bis zum 31. 12. 2001 geltenden Fassungen (nachfolgend a.F.) auf das Streitverhältnis angewendet. Das lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen.
Anhängige Verfahren nach dem AGB-Gesetz werden nach den Vorschriften des Gesetzes über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen (UKlaG) fortgesetzt (§ 16 I UKlaG). Auf Reiseverträge, die unter Verwendung der umstrittenen Klausel vor dem 1. 1. 2002 geschlossen wurden, sind das BGB und das AGB-Gesetz in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung (nachfolgend a.F.) anzuwenden (Art. 229 § 5 EGBGB), nur für seit dem 1. 1. 2002 geschlossene Verträge gilt das BGB in der seit diesem Tag geltenden Fassung (nachfolgend n.F.).
II. Das BerGer. hat die umstrittene Klausel, die bundesweit verwendet wird, einer Inhaltskontrolle unterzogen, weil sie gesetzesergänzenden Charakter habe und deshalb nicht nach § 8 AGBG von der Inhaltskontrolle freigestellt sei. Die Verweisung auf § 11 Nr. 1 AGBG in § 651a III 3 BGB a.F. rechtfertige keine abweichende Beurteilung. Das begegnet keinen rechtlichen Bedenken (vgl. Senat, NJW 2003, 507) und wird von der Revision auch nicht angegriffen.
III. 1. Das BerGer. hat die Auffassung vertreten, die angegriffene Klausel sei nicht schon deshalb unwirksam, weil das Preiserhöhungsrecht nicht an eine korrespondierende Preissenkungspflicht gebunden sei. Die Klausel verstoße aber deshalb gegen § 9 I AGBG, weil sie keine hinreichend genauen Angaben zur Berechnung des neuen Preises enthalte und die Kunden der Bekl. dadurch unangemessen benachteilige. Das BerGer. hat dazu ausgeführt, es sei streitig, welche Anforderungen an die von § 651a III 1 BGB a.F. geforderten „genauen Angaben zur Berechnung des neuen Preises“ zu stellen seien. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 651a III 1 BGB a.F. müssten die Angaben zur Berechnung des neuen Preises bereits in der Preisanpassungsklausel enthalten und mithin vorab abstrakt formuliert sein. Deshalb müsse bereits die Preisanpassungsklausel die maßgeblichen Berechnungskriterien zur Ermittlung des neuen Preises benennen und den Kunden in die Lage versetzen, diesen anhand der gegebenenfalls mitzuteilenden Einzelangaben für die betreffende Reise nach Grund und Höhe nachzuvollziehen.
Dem werde die angegriffene Klausel nicht gerecht. Bereits der Begriff der „Fluggebühren“ sei unklar und lasse nicht erkennen, ob damit Gebühren für Sicherheitskontrollen, für die Abfertigung etc. oder vielmehr allgemeine Flugkosten gemeint seien. Damit werde dem Kunden der Überblick, welche Mehrkosten auf ihn zukommen können, erschwert. Jedenfalls fehle die Angabe der Bezugszeitpunkte für die Ermittlung der an den Kunden weiterzureichenden Kostensteigerungen. Insbesondere bleibe unklar, ob alle seit der Preisbildung oder der Drucklegung des Prospekts eingetretenen Mehrbelastungen der Bekl. oder nur diejenigen nach Vertragsschluss mit dem Kunden in die Berechnung einzubeziehen seien. Die Unklarheit lasse sich auch nicht im Wege der Vertragsauslegung beheben, da das Gebot der „unverzüglichen“ Unterrichtung des Kunden die Bekl. nur hindere, die Entscheidung über eine Preiserhöhung längere Zeit hinauszuzögern, nicht jedoch in rechtzeitig mitgeteilte Preiserhöhungen frühere vorvertragliche Kostensteigerungen einzubeziehen. Damit lasse die Klausel Berechnungsweisen des neuen Preises zu, die unangemessene Preiserhöhungen abdecken würde. Darüber hinaus enthalte die Klausel keine ausreichenden Angaben zu den für die einzelnen Kostenpositionen heranzuziehenden Verteilungsmaßstäben, da Reiseveranstalter in der Regel nicht Einzelleistungen für jede Pauschalreise, sondern Kontingente buchen würden, so dass Kostensteigerungen auf die einzelnen Pauschalreiseverträge umgelegt werden müssten. Der Maßstab, nach dem diese Umlegung erfolge, sei dem Reisenden in der Regel unbekannt, so dass der Kunde nicht in der Lage sei, das Ergebnis des Preiserhöhungsverlangens an vorgegebenen Berechnungskriterien zu messen. Der Klausel sei schließlich auch nicht zu entnehmen, auf welchem Berechnungsweg (durch welche Rechenoperation) der neue Preis ermittelt werden solle.
2. Das angefochtene Urteil hält den dagegen erhobenen Rügen der Revision im Ergebnis stand. Die umstrittene Klausel verstößt insgesamt gegen das sich aus § 9 AGBG ergebende und durch § 651a III 1 BGB a.F. konkretisierte Transparenzgebot und benachteiligt deshalb die Kunden der Bekl. unangemessen.
a) Aus dem eindeutigen Wortlaut des § 651a III 1 BGB a.F., der Art. 4 IV der Richtlinie des Rats vom 13. 6. 1990 über Pauschalreisen insoweit wortlautgetreu umgesetzt hat, ergibt sich, dass die vom Gesetz geforderten genauen Angaben zur Berechnung der Preiserhöhung im Vertrag enthalten sein müssen und eine erst in den nach der InformationsVO gebotenen Informationen enthaltene oder nach Vertragsschluss versandte Information darüber, wie sich die in dem Vertrag vereinbarte Preiserhöhung berechnet, den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt (vgl. Senat, NJW 2003, 507). Davon ist das BerGer. zutreffend ausgegangen.
Diese Regelung entspricht dem schon bisher in der Rechtsprechung anerkannten und nunmehr in § 307 I 2 BGB n.F. auch kodifizierten Grundsatz, dass es für die Wirksamkeit einer Preiserhöhungsklausel entscheidend darauf ankommt, dass der Vertragspartner des Verwenders den Umfang der auf ihn zukommenden Preissteigerungen bei Vertragsschluss aus der Formulierung der Klausel erkennen und die Berechtigung einer von dem Klauselverwender vorgenommenen Erhöhung an der Ermächtigungsklausel selbst messen kann (BGHZ 94, 335 = NJW 1985, 2270; BGH, NJW 1986, 3134). Dem Transparenzgebot für Preiserhöhungsklauseln des nationalen Rechts entspricht Art. 4 IV der Richtlinie über Pauschalreisen, der durch § 651a BGB umgesetzt worden ist. Aus den Erwägungen der Richtlinie ist zu entnehmen, dass Reiseveranstaltern zwar die Möglichkeit eingeräumt wird, Preisänderungen vertraglich vorzusehen, dass diese Möglichkeit aber unter den Bedingungen steht, die Art. 4 IV der Richtlinie aufstellt. Dazu gehört, dass der Vertrag genaue Angaben zur Berechnung des neuen Preises enthält. Reiseveranstalter, die sich durch Verwendung entsprechender Klauseln die Möglichkeit einer Preisänderung vorbehalten wollen, sind daher gehalten, die Bedingungen des Art. 4 IV der Richtlinie und damit auch des § 651a III 1 BGB a.F. einzuhalten. Art. 4 IV der Richtlinie enthält demzufolge ein schon in der bisherigen Rechtsprechung zu § 9 AGBG anerkanntes Transparenzgebot, mit dem ein wesentliches Schutzbedürfnis des Vertragspartners des Reiseveranstalters gesetzlich anerkannt wird, die Preiserhöhung auch rechnerisch auf ihre Berechtigung überprüfen zu können.
b) Es kann dahingestellt bleiben, ob - wie die Revision rügt - der in der Klausel verwendete Begriff der „Fluggebühren“ unklar ist und unter dem Gesichtspunkt des Transparenzgebots zu beanstanden ist. Denn entgegen der Auffassung der Revision genügt die umstrittene Klausel schon deshalb nicht dem Transparenzgebot, weil der Vertragspartner der Bekl. aus der Klausel nicht ersehen kann, auf welcher Grundlage die Forderung nach einem erhöhten Entgelt erhoben wird. Die Formulierung im ersten Satz der Klausel, dass Preisänderungen nach Abschluss des Reisevertrags „im Falle der Erhöhung“ der Beförderungskosten oder Fluggebühren möglich sind, kann dahin ausgelegt werden, dass nur solche Kostenerhöhungen zum Anlass von Erhöhungen des vertraglich vereinbarten Reisepreises genommen werden dürfen, die nach Abschluss des Reisevertrags eingetreten sind. Eine Begrenzung der Möglichkeit, Preisänderungen vorzunehmen, die auf Kostenerhöhungen zurückzuführen sind, die nach Vertragsschluss eingetreten sind, enthält die Formulierung jedoch nicht. Sie kann daher auch dahin ausgelegt werden, dass der Bekl. durch die Klausel gestattet wird, Preisänderungen wegen Kostensteigerungen zu verlangen, die bereits vor Vertragsschluss eingetreten sind oder zu diesem Zeitpunkt bereits abzusehen waren.
Eine Begrenzung auf nach Abschluss des Reisevertrags eingetretene Kostensteigerungen ergibt sich insbesondere nicht aus dem Umstand, dass die Bekl. nach dem zweiten Satz der Klausel verpflichtet ist, den Reisenden unverzüglich über die Erhöhung des vertraglich vereinbarten Reisepreises zu unterrichten. Denn die Klausel besagt, dass die unverzügliche Unterrichtung des Kunden zu erfolgen hat, „wenn dies der Fall ist“. An welchen Fall - den Fall der Preisänderung oder den Fall vor oder nach Vertragsschluss eingetretener Kostensteigerungen - die Pflicht zur unverzüglichen Information anknüpft, lässt die Formulierung offen. Sie kann daher dahin ausgelegt werden, dass die Pflicht zur unverzüglichen Unterrichtung des Kunden an den Eintritt von Kostensteigerungen gebunden ist. Sie kann aber auch dahin ausgelegt werden, dass die Pflicht zur Unterrichtung des Kunden daran anknüpft, dass sich die Bekl. veranlasst sieht, einen erhöhten Reisepreis zu fordern. Die Klausel begrenzt infolge dieser Mehrdeutigkeit daher entgegen der Auffassung der Revision die Möglichkeit, Preisänderungen vorzunehmen, nicht auf nach dem Abschluss des Reisevertrags eingetretene Kostensteigerungen, sondern eröffnet in der Zusammenschau ihrer beiden Sätze der Bekl. die Möglichkeit, nach ihrer Wahl nicht nur nach, sondern auch schon vor Vertragsschluss eingetretene oder abzusehende Kostensteigerungen zur Grundlage einer Preisanpassung zu nehmen.
Da die Klausel unklar lässt, welche Art von Kostensteigerungen dem Verlangen nach einem erhöhten Reisepreis zu Grunde liegen, ist sie mehrdeutig und unterliegt infolge ihrer Mehrdeutigkeit der gebotenen kundenfeindlichen Auslegung (vgl. Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG, 9. Aufl., § 5 Rdnrn. 5ff. m.w. Nachw.). Sie ist mit dem dargelegten Inhalt wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot des § 9 I AGBG unwirksam, da das Transparenzgebot nicht nur erfordert, dass der Kunde aus der Klausel ersehen kann, welcher Reisepreis (der Katalogpreis oder der im Vertrag gegebenenfalls abweichend vereinbarte Preis) der Forderung nach einem erhöhten Entgelt zu Grunde liegt (vgl. Senat, NJW 2003, 507), sondern auch, dass der Kunde aus der Klausel ersehen kann, ob vor oder nach Vertragsschluss eingetretene Kostensteigerungen Anlass für die Forderung nach einem erhöhten Reisepreis sind.
Nichts anderes gilt, soweit die angegriffene Klausel bestimmt, dass Preisänderungen in dem Umfang möglich sind, wie sich die Erhöhung pro Kopf „bzw.“ pro Sitzplatz auf den Reisepreis auswirkt. Die Formulierung lässt der Bekl. die Wahl, Kostenerhöhungen entweder nach dem Maßstab „pro Kopf“ oder nach dem Maßstab „pro Sitzplatz“ auf die Vertragspartner umzulegen. Daher kann der Reisende aus der Klausel bei Vertragsschluss nicht erkennen, nach welchem Maßstab Preisänderungen auf ihn zukommen können, so dass die angegriffene Klausel auch insoweit nicht dem Transparenzgebot des § 9 I AGBG genügt.
IV. Bei dieser Sachlage kommt es nicht darauf an, ob - wie das BerGer. gemeint hat - auch der in der Klausel verwendete Begriff der „Fluggebühren“ mehrdeutig ist. Es bedarf auch keiner Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung über die Auslegung der Richtlinie 90/314/EWG über Pauschalreisen.