BGH, Urteil vom 28. 10. 2003 - X ZR 178/02 (LG Göttingen)
Zum Sachverhalt:
Der Kl. verlangt Schadensersatz wegen Nichtabnahme einer Einbauküche. Am 3. 11. 1999 unterzeichnete die Bekl. auf der Verbraucherausstellung „SIVA“ in Göttingen ein als „Kaufvertrag über eine Messe-Einbauküche“ überschriebenes Schriftstück, wonach eine näher bezeichnete Einbauküche nach Aufmasserstellung und Feinplanung in Abstimmung mit der Bekl. geliefert und spätestens bis zur 52. Kalenderwoche 2001 abgenommen werden sollte. In den zu Grunde liegenden Bedingungen verpflichtete sich die Bekl. zur Leistung eines pauschalierten Schadensersatzes in Höhe von 30% der Gesamtverpflichtung von 13586 DM, also in Höhe von 4075,80 DM (2083,92 Euro), für den Fall einer Erfüllungsverweigerung. Als der Kl. die Bekl. Anfang Oktober 2000 schriftlich zur Leistung der vereinbarten Anzahlung von 2717 DM aufforderte, erklärte diese, an die Vereinbarung nicht gebunden zu sein.
Die Klage auf Zahlung des pauschalierten Schadensersatzes von 30% des vereinbarten Bestellpreises hatte in beiden Vorinstanzen Erfolg. Die Revision der Bekl. hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
I. Das BerGer. hat angenommen, dass die Parteien einen Werklieferungsvertrag über nicht vertretbare Sachen i.S. von § 651 BGB in der bis 31. 12. 2001 geltenden Fassung geschlossen haben. Das lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen und wird von der Revision auch nicht angegriffen.
II. Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das BerGer. der Bekl. ein Widerrufsrecht nach § 1 I Nr. 2 HWiG in der bis 30. 9. 2000 geltenden Fassung (§ 9 III HWiG) versagt hat.
1. Nach § 1 I Nr. 2 HWiG wird eine auf den Abschluss eines Vertrags über eine entgeltliche Leistung gerichtete Willenserklärung, zu der der Erklärende (Kunde) anlässlich einer von der anderen Vertragspartei oder von einem Dritten zumindest auch in ihrem Interesse durchgeführten Freizeitveranstaltung bestimmt worden ist, erst wirksam, wenn der Kunde sie nicht binnen einer Frist von einer Woche schriftlich widerruft. Nach der Rechtsprechung des BGH kommt es für die Beurteilung des Rechtsbegriffs der Freizeitveranstaltung auf dessen Wortverständnis nicht entscheidend an (BGH, NJW 1990, 3265). Der Begriff der Freizeitveranstaltung wird vielmehr durch dessen Sinn und Zweck im Rahmen der Zielsetzung des Gesetzes im Ganzen bestimmt (BGH, NJW 1992, 1889 [1890]). Das Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften (HWiG) soll den Verbraucher vor der Gefahr schützen, in bestimmten, dafür typischen Situationen bei der Anbahnung und dem Abschluss von Geschäften unter Beeinträchtigung seiner rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit überrumpelt oder sonst auf unzulässige Weise zu unüberlegten Geschäftsabschlüssen gedrängt zu werden (BT-Dr 10/2876, S. 6ff., 11ff.; BGH, NJW 1992, 1889 [1890]).
Soweit es um rechtsgeschäftliche Erklärungen anlässlich der Durchführung von Freizeitveranstaltungen geht, ist es Sinn und Zweck des § 1 I Nr. 2 HWiG, eine Bindung des Verbrauchers an rechtsgeschäftliche Erklärungen in einer Situation zu vermeiden, in der für ihn der Geschäftszweck hinter die vom Veranstalter herbeigeführte freizeitliche Stimmung und Erwartungshaltung zurücktritt, Preis- und Qualitätsvergleiche praktisch nicht möglich sind und die Gelegenheit zu ruhiger Überlegung und Umkehr, wenn überhaupt, nur eingeschränkt gegeben ist (BT-Dr 10/2876, S. 6ff., 11ff.). Der Gesetzgeber stellt insoweit darauf ab, dass mit dem eigentlichen gewerblichen Angebot nicht im Zusammenhang stehende attraktive Leistungen wie etwa Kaffeefahrten, Reisen und Ähnliches den Kunden über den Hauptzweck der Veranstaltung hinwegsehen lassen und ihn den Verkaufsabsichten gewogen machen, wobei die Auswahl von Zeit und Ort der Veranstaltung es dem Kunden erschwert, sich den Verkaufsbemühungen zu entziehen (BGH, NJW 1992, 1889 [1890]).
Von einem Geschäftsabschluss anlässlich einer Freizeitveranstaltung i.S. von § 1 I Nr. 2 HWiG kann daher nur dann gesprochen werden, wenn Freizeitangebot und Verkaufsveranstaltung derart organisatorisch miteinander verwoben sind, dass der Kunde im Hinblick auf die Ankündigung und die Durchführung der Veranstaltung in eine freizeitlich unbeschwerte Stimmung versetzt wird und sich dem auf einen Geschäftsabschluss gerichteten Angebot nur schwer entziehen kann, sei es auf Grund der örtlichen oder zeitlichen Gegebenheiten, sei es auf Grund eines Gruppenzwangs oder einer empfundenen Dankbarkeit für das Unterhaltungsangebot, die beim Verbraucher das Gefühl wecken, dem Verkaufsunternehmen in irgendeiner Weise verpflichtet zu sein. Fehlt es dagegen an einer derartigen Verknüpfung von Freizeitcharakter und gewerblichem Angebot, ist der Tatbestand des § 1 I Nr. 2 HWiG zu verneinen (BGH, NJW 1992, 1889 [1890]; NJW 2002, 3100 [3101]). Entscheidend ist daher, dass der Begriff der Freizeitveranstaltung in diesem Sinne durch zwei in Wechselbeziehung zueinander stehende Faktoren bestimmt wird, nämlich einerseits durch den Freizeitcharakter der Veranstaltung, die den Verbraucher in eine seine rechtsgeschäftliche Entschließungsfreiheit beeinflussende Stimmung versetzt, und andererseits durch die Organisationsform der Veranstaltung, der sich der Kunde nur schwer entziehen kann (BGH, NJW 1992, 1889 [1890]). Während der Freizeitcharakter durch die Verkehrsanschauung bestimmt wird, ist zur Beurteilung der Organisationsform auf die objektiven Gegebenheiten abzustellen (BGH, NJW 1992, 1889 [1890]; NJW 2002, 3100 [3101]).
2. Entgegen der Auffassung der Revision gibt die Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. 12. 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen keine Veranlassung, ohne Rücksicht auf die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung formulierten Kriterien jede Verbrauchermesse oder Verbraucherausstellung als Freizeitveranstaltung i.S. des § 1 I Nr. 2 HWiG zu qualifizieren. Es besteht daher auch kein Grund, gem. Art. 234 EG eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Denn nach Art. 1 I der Richtlinie gilt diese außer in Fällen eines anlässlich eines Besuchs des Gewerbetreibenden beim Verbraucher in seiner Wohnung oder an seinem Arbeitsplatz oder in der Wohnung eines anderen Verbrauchers geschlossenen Vertrags nur dann, wenn der Vertrag während eines vom Gewerbetreibenden außerhalb von dessen Geschäftsräumen organisierten Ausflugs geschlossen worden ist. Art. 1 III , IV der Richtlinie erweitern diesen Katalog lediglich auf unter ähnlichen Bedingungen gemachte Angebote. Das deutsche Recht geht daher, was nach Art. 8 der Richtlinie zulässig ist, zu Gunsten des Verbrauchers über den zwingend gebotenen Schutz hinaus, indem es mit Ausflügen nicht nur bestimmte, sondern Freizeitveranstaltungen jeder Art erfasst (Staudinger/Werner, BGB, Bearb. 2001, Vorb. HWiG Rdnr. 43; Fischer/Machunsky, HWiG, 2. Aufl., § 1 Rdnr. 109; Rott, Die Umsetzung der Haustürwiderrufsrichtlinie in den Mitgliedstaaten, S. 17).
Demgegenüber beruft sich die Revision ohne Erfolg darauf, dass es in den Erwägungsgründen der Richtlinie heißt, Verträge, die außerhalb von Geschäftsräumen eines Gewerbetreibenden geschlossen würden, seien dadurch gekennzeichnet, dass die Initiative zum Vertragsschluss in der Regel vom Gewerbetreibenden ausgehe und der Verbraucher auf die Vertragsverhandlungen nicht vorbereitet sei, und dieses Überraschungsmoment gebe es nicht nur bei Haustürgeschäften, sondern auch bei anderen Verträgen, die auf Initiative des Gewerbetreibenden außerhalb seiner Geschäftsräume abgeschlossen würden. Denn diese Erwägung kann zwar bei der Auslegung der zur Eingrenzung des Anwendungsbereichs der Richtlinie verwendeten Begriffe herangezogen werden, nicht jedoch eine Anwendung der Richtlinie rechtfertigen, die diese schlechthin auf außerhalb der Geschäftsräume des Gewerbetreibenden geschlossene Verträge erstreckt, obwohl eine solche Regelung in Art. 1 der Richtlinie gerade nicht getroffen worden ist und eine dem ausdrücklich geregelten Fall entsprechende Lage auch bei der gebotenen Typisierung nicht bei jedem derartigen Vertrag gegeben ist. Sie bietet daher auch keinerlei Anhalt für eine erweiternde Auslegung des Begriffs der Freizeitveranstaltung im Sinne des Haustürgeschäftewiderrufsgesetzes, der ohnehin über den Begriff des Ausflugs hinausgeht. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH ist ein Vertrag im Sinne der Richtlinie während eines Ausflugs geschlossen worden, wenn der Gewerbetreibende den Verbraucher eingeladen hat, sich persönlich an einen Ort zu begeben, der in nicht unbeträchtlicher Entfernung von seinem Wohnort liegt, bei dem es sich nicht um die Geschäftsräume handelt, in denen der Gewerbetreibende seine Tätigkeit gewöhnlich ausübt, und der nicht deutlich als öffentliche Verkaufsstelle gekennzeichnet ist, um ihm von ihm angebotene Waren und Dienstleistungen zu präsentieren (EuGH, Slg. 1999, I-2195 [2227f.] = EuZW 1999, 377 = NZM 1999, 580 - Travel Vac). Diese Voraussetzungen sind bei anderen Freizeitveranstaltungen als Reisen, Kaffeefahrten und dergleichen typischerweise nicht erfüllt. Daher sind auch die Hinweise der Revision auf die im einzelnen unterschiedlichen Regelungswerke unergiebig, die in den Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Richtlinie getroffen worden sind. Denn sie gehen zum Teil wie das deutsche Recht über den gebotenen Mindestschutz des Verbrauchers hinaus und haben infolgedessen unterschiedliche Anwendungsbereiche für das dem Verbraucher eingeräumte Widerrufsrecht.
Bei dieser Sachlage lässt die Anwendung des Gemeinschaftsrechts keinen Raum für einen vernünftigen Zweifel, weshalb der Senat nicht gehindert ist, den Rechtsstreit ohne Vorlage an den EuGH zu entscheiden (EuGH, Slg. 1982, 3415 [3431] = NJW 1983, 1257 - C.I.L.F.I.T.)
3. Danach hält es rechtlicher Nachprüfung stand, dass das BerGer. einen Vertragsschluss anlässlich einer Freizeitveranstaltung verneint hat. Es hat hierzu ausgeführt, bei der „SIVA“ habe es sich trotz eines unterhaltenden Rahmenprogramms um eine gewöhnliche Verbraucherausstellung und nicht um eine Freizeitveranstaltung i.S. des § 1 I Nr. 2 HWiG gehandelt. Diese Vorschrift erfasse nur solche Veranstaltungen, bei denen der gewerbliche Charakter verschleiert oder zumindest verdrängt werde, indem mit der eigentlichen gewerblichen Absicht nicht im Zusammenhang stehende attraktive Leistungen in den Vordergrund gerückt würden, die den Kunden über den Hauptzweck der Veranstaltung hinwegsehen ließen und ihn dazu bringen sollten, den Verkaufsabsichten näher zu treten. Konkrete Anhaltspunkte, dass es sich bei der der „SIVA“ um eine solche Veranstaltung handele, gebe es nicht.
Das von der Bekl. vorgelegte Veranstaltungsprogramm lasse einen solchen Schluss nicht zu. Zwar sei ein beträchtliches Unterhaltungsprogramm angeboten worden. Daneben seien jedoch in insgesamt 20 Hallen etwa 400 gewerbliche Aussteller mit den Angebotsschwerpunkten Ausbau, Renovierung, Wohnen, Energie, Hauswirtschaft, Gastronomie, Gesundheit und Garten vertreten gewesen. Der Angebotsschwerpunkt habe hiernach trotz des täglichen Beiprogramms eindeutig im gewerblichen Bereich gelegen, was vom Durchschnittsbesucher nicht habe übersehen werden können.
Nach diesen von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen fehlt es jedoch an Anhaltspunkten dafür, dass im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung Unterhaltungsangebot und Verkaufsangebote so miteinander verwoben worden wären, dass der die Gefahr einer Überrumpelung des Besuchers begründende Freizeitcharakter der Veranstaltung im Vordergrund gestanden hätte.
4. Soweit das OLG Dresden (NJW-RR 1997, 1346 [1347]) - was dem BerGer. Veranlassung zur Zulassung der Revision gegeben hat - bei der Qualifikation der von ihm zu beurteilenden „Mittelsachsenschau 1994“ als Freizeitveranstaltung wesentlich darauf abgestellt hat, dass der durch ein umfangreiches Unterhaltungsangebot angelockte Besucher den Verkaufsbemühungen an den Ausstellungsständen gewogen gemacht werde und sich solchen nur schwer entziehen könne (s. auch Erman/Saenger, BGB, 10. Aufl., § 1 HWiG Rdnr. 43; Fischer/Machunsky, § 1 Rdnrn. 153f.), vermag der Senat dem ebenso wenig zu folgen wie der Ansicht, der Kunde befinde sich auf Grund des bezahlten Eintrittspreises in einer Drucksituation (so Fischer/Machunsky; § 1 Rdnr. 155). Einerseits genügt das Anlocken mit einem Unterhaltungsangebot nicht für eine Situation, in der sich ein Besucher Verkaufsbemühungen nur schwer entziehen kann (BGH, NJW 2002, 3100 [3102]), andererseits bewirkt die Zahlung eines Eintrittsgelds keine Drucksituation, die den Sachverhalten, die das Gesetz erfassen will, vergleichbar wäre. Vielmehr wirkt ein vom Verbraucher für den Eintritt entrichtetes Entgelt gerade dem Empfinden entgegen, den auf der Ausstellung vertretenen Anbietern in irgendeiner Weise verpflichtet zu sein.