OLG Dresden, Urt. vom 27. 11. 2002 - 8 U 2423/01
Tatbestand
Die Klägerin macht Stornierungsgebühren in Höhe von 44.440,47 Euro (entspricht 86.918,- DM) aus einem Reisevertrag geltend, hilfsweise begehrt sie Aufwendungsersatz.
Die Beklagte und ihr damaliger Lebensgefährte, K., suchten ein Reisebüro der Klägerin in H. auf, um sich über verschiedene Reisemöglichkeiten zu informieren. Schließlich entschieden sie sich für eine Seereise anhand eines Kataloges der H. L., in welchem Kreuzfahrten angeboten wurden. Ausweislich der „allgemeinen Hinweise“ im Katalog war im Reisepreis eine Reise-Rücktrittskosten-Versicherung der Europäische Reiseversicherung AG enthalten. Der Reisepreis sollte kurz vor Antritt der Reise durch Herrn K. im Reisebüro in H. in bar gezahlt werden. Im Gegenzug sollte dieser die Reisetickets erhalten. Die Beklagte nahm zunächst unter dem 4. 9. 1999 (...) über das Reisebüro eine Reiseanmeldung vor, welche sie unter dem 6. 9. 1999 (...) erweiterte und die nunmehr neben einer Seereise für zwei Personen vom 14. 10. 1999 bis 11. 12. 1999 der K.-Special-Tours/ E. zum Preis von 100.300,- DM und einer Zusatzprämie Seereisen für zwei Personen der Elvia Reiseversicherungen, München, zum Preis von 1.003,- DM ein Vorprogramm Washington für den Zeitraum vom 12. 10. 1999 bis 14. 1. 1999 der K.-Special-Tours/ E. zum Preis von 2.640,- DM enthielt.
(...) Die Reiseanmeldungen sowie die Buchungsänderung der Beklagten enthielten jeweils den Hinweis: „Die Reise- und Zahlungsbedingungen der jeweiligen Veranstalter werden Vertragsinhalt“.
Am 11. 10. 1999 - mithin einen Tag vor beabsichtigtem Reiseantritt - stornierte Herr K. im Auftrag der Beklagten die Reise auf Grund einer Erkrankung der Beklagten. Mit Schreiben vom 13. 10. 1999 bestätigte K.-Reisen-Special-Tours gegenüber dem Reisebüro die Stornierung und berechnete Stornierungsgebühren in Höhe von 87.180,- DM (75 % des Reisepreises), die der Beklagten mit Schreiben des Reisebüros vom selben Tage in Rechnung gestellt wurden. Im weiteren Verlauf wurde von dem verlangten Betrag ein Auszahlungsguthaben, welches der Beklagten in Höhe von 262,- DM zustand, in Abzug gebracht und die Beklagte nochmals mit Schreiben des Reisebüros vom 20. 11. 1999 unter Fristsetzung bis 4. 12. 1999 aufgefordert, die offene Forderung in Höhe von noch 86.918,- DM zu begleichen (...).
Die H. L. Kreuzfahrten GmbH erstattete der Klägerin durch Übergabe eines entsprechenden Verrechnungsschecks vom 1. 11. 1999 einen Betrag in Höhe von 25.689,04 DM.
Die Europäische Reiseversicherung AG als Reise- Rücktrittskosten-Versicherer hat keine Leistungen erbracht. Eine Meldung des Schadens durch die Beklagte ist damals auch nicht erfolgt. (...)
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Klägerin stehe der Anspruch weder gemäß der von ihr zu Grunde gelegten Reise- und Zahlungsbedingungen noch gemäß § 651 i Abs. 3 BGB zu. Die Regelung in den von der Klägerin zu Grunde gelegten Reise- und Zahlungsbedingungen sei wegen eines Verstoßes gegen § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG i.V.m. § 651 i Abs. 3 BGB unwirksam, weil darin eine Differenzierung nach verschiedenen Reisearten, wie sie § 651 i Abs. 3 BGB vorschreibe, nicht erfolgt sei. Der Anspruch nach § 651 i Abs. 3 BGB sei nicht begründet, weil die Klägerin trotz gerichtlichen Hinweises die das Merkmal der „Gewöhnlichkeit“ i.S.d. § 651 i Abs. 3 BGB kennzeichnenden Umstände nicht ausreichend dargelegt habe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, mit der diese ihr erstinstanzliches Zahlungsbegehren in vollem Umfang weiterverfolgt. (...)
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und im Wesentlichen begründet.
I.
1. Zwar kann die Klägerin von der Beklagten nicht die Zahlung von Stornierungsgebühren in Höhe von 44.440,47 Euro (entspricht 86.918,- DM sowie 75 % des Reisepreises) aus einem Reisevertrag verlangen. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten jedoch einen Anspruch auf Aufwendungsersatz in Höhe von 39.269,83 Euro (entspricht 76.805,12 DM) aus einem Reisevermittlungsvertrag gemäß §§ 675, 670 BGB.
a) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist zwischen den Parteien nicht ein Reisevertrag i.S.d. § 651 a ff. BGB, sondern ein Geschäftsbesorgungsvertrag (Reisevermittlungsvertrag) i.S.d. § 675 BGB zustande gekommen, da die Klägerin gegenüber der Beklagten lediglich als Reisevermittler und nicht als Reiseveranstalter tätig geworden ist.
Reisevermittler ist derjenige, der Leistungen eines Reiseveranstalters an den Reisenden vermittelt. Reiseveranstalter ist dagegen, wer eine Gesamtheit von Reiseleistungen als eigene vermarktet, d.h. wer in eigener Verantwortung eine Anzahl von Reiseleistungen im Vorhinein auswählt, sie aufeinander abstimmt, zu einer Einheit verbindet und sie nach einem vorher festgelegten sowie ausgeschriebenen Programm zu einem einheitlichen Preis anbietet (vgl. nur Palandt/Sprau, BGB, [60. Aufl.], Einf. vor § 651 a, Rdnr. 1; Staudinger/Eckert, BGB, [2001], § 651 a, Rdnr. 59; KG Berlin, NJW-RR 1991, 1017; OLG Frankfurt am Main, NJW-RR 1991, 1018). An einer Bündelung von Leistungen im vorgenannten Sinn fehlt es jedoch, wenn die Reise erst auf Veranlassung und nach Wunsch des Reisenden zusammen gestellt wird. Vielmehr liegt dann eine Einzelreise vor, bei der die Leistungsteile lediglich auf Initiative des Kunden hin vermittelt werden (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 50). Entscheidend für die Frage, ob ein Reisevertrag oder ein Reisevermittlungsvertrag zustande gekommen ist, ist der Inhalt der getroffenen vertraglichen Vereinbarungen, der nach §§ 133, 157 BGB aus Sicht des Reisenden als des Erklärungsempfängers auszulegen ist. Es kommt dabei für die Abgrenzung nicht auf die von den Parteien gewählte Bezeichnung, sondern maßgeblich auf das Verhalten des Anbieters sowie auf die Gestaltung der Reiseprospekte an (vgl. nur Staudinger/ Eckert, BGB, [2001], § 651 a, Rdnr. 42 m.w.N.), wobei der Reisende in erster Linie an den Prospekt seine Vorstellung knüpft, mit wem er in Vertragsbeziehungen tritt und wer ihm gegenüber verpflichtet ist, die jeweilige Reiseleistung zu erbringen (vgl. BGHZ 61, 275 f.).
Unter Beachtung der dargelegten Grundsätze ist die Klägerin gegenüber der Beklagten nicht als Reiseveranstalter, sondern nur als Reisevermittler aufgetreten. Dies folgt insbesondere daraus, dass die streitgegenständliche Reise auf Wunsch der Beklagten anhand von Einzelleistungen aus einem Prospekt von H. L. zusammengestellt worden ist. Bereits auf Grund der Verwendung des Prospektes von H. L. handelt es sich nicht um eine bestimmte von der Klägerin zusammengestellte Reise, die diese als eigene Reise der Beklagten angeboten hat. Auch der Umstand, dass Absender der Reisebestätigung „K.-Reisen Special-Tours“ war und dass in der Reisebestätigung als „Veranstalter“ ausschließlich „Special-Tours/ E.“ genannt war, reicht nicht für die Annahme aus, die Klägerin sei tatsächlich Reiseveranstalter gewesen, zumal es - wie ausgeführt - nicht auf die Bezeichnung, sondern in erster Linie auf das Verhalten der Parteien und die Gestaltung der Reiseprospekte ankommt (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 50).
Ansprüche des Reiseveranstalters H. L. etwa aus abgetretenem Recht macht die Klägerin trotz Hinweis des Senates nicht geltend.
b) Nach § 670 BGB kann die Klägerin die Aufwendungen ersetzt verlangen, die sie zum Zwecke der Ausführung des Auftrages freiwillig oder auf Weisung der Beklagten getätigt hat und die sie den Umständen nach für erforderlich halten durfte.
aa) Aufwendungen der Klägerin i.S.d. § 670 BGB, d.h. die durch die Klägerin zu Gunsten der Beklagten getätigten Vermögensopfer, bestehen in der Zahlung des Reisepreises in Höhe von 102.756,16 DM an H. L. abzüglich der durch H. L. vorgenommenen Erstattung eines Betrages in Höhe von 25.689,04 DM, mithin in Höhe von insgesamt 77.067,12 DM. Dass die Zahlungen in dem dargestellten Umfang erfolgt sind, ist zwischen den Parteien zuletzt unstreitig, nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 11. 11. 2002 mitgeteilt hat, dass sie ein zuvor insoweit noch erfolgtes Bestreiten nicht mehr aufrecht erhält.
Die Provision, die der Klägerin auf Grund der Vermittlung der Reise gegenüber H. L. in Höhe der Differenz zwischen dem gezahlten und dem mit der Beklagten vereinbarten Reisepreis zugestanden hätte, ist im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten dagegen nicht als Aufwendung i.S.d. § 670 BGB zu berücksichtigen. Denn die eigene Arbeitskraft und Tätigkeit des Beauftragten stellt keine Aufwendung i.S.d. § 670 BGB dar; dies folgt aus dem Grundsatz der Unentgeltlichkeit des Auftrages (vgl. Palandt/Sprau, BGB, [60. Aufl.], § 670, Rdnr. 3).
bb) Die Aufwendungen wurden durch die Klägerin auch zum Zwecke der Ausführung des Auftrages gemacht. Hierfür genügt es nämlich, dass eine Aufwendung sich als notwendige Folge der Ausführung ergibt und deshalb mit dieser in unmittelbarem Zusammenhang steht, wobei darauf abzustellen ist, ob es sich um Ausgaben handelt, die der Auftraggeber zweifelsohne auch hätte tragen müssen, wenn er das aufgetragene Geschäft selbst ausgeführt hätte (vgl. OLG Frankfurt am Main, NJW-RR 1996, 889). Dies ist hier der Fall. Die Beklagte hätte dem Reiseveranstalter (H. L. ) ebenfalls den Reisepreis vor Antritt der Reise zahlen müssen, wenn die Klägerin ihn nicht „vorgestreckt“ hätte. Es entspricht zudem - wie dem Senat auch aus anderen Verfahren bekannt ist - den üblichen Gepflogenheiten in der Reisebranche, dass Reisedokumente nicht ohne Bezahlung des Reisepreises an den Kunden herausgegeben werden. Da mit der Beklagten vereinbart war, dass die Reisetickets erst kurz vor Reiseantritt durch den damaligen Lebensgefährten der Beklagten im Reisebüro gegen Barzahlung des Reisepreises abgeholt werden sollten, musste die Klägerin den Reisepreis der Beklagten „vorstrecken“, um zunächst selbst in den Besitz der Reisetickets zu gelangen.
cc) Die Klägerin durfte die Aufwendungen nach den Umständen auch für erforderlich halten.
Grundsätzlich hat der Beauftragte nach seinem verständigen Ermessen auf Grund sorgfältiger Prüfung bei Berücksichtigung aller Umstände über die Notwendigkeit der Aufwendungen zu entscheiden. Dabei hat er sich am Interesse des Auftraggebers und daran zu orientieren, ob und inwieweit die Aufwendungen angemessen sind und in einem vernünftigen Verhältnis zur Bedeutung des Geschäftes und zum angestrebten Erfolg stehen. Abzustellen ist hinsichtlich der Beurteilung auf den Zeitpunkt, in dem der Beauftragte seine Disposition getroffen hat (vgl. Palandt/ BGB, [60. Aufl.], § 670, Rdnr. 4 m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze durfte die Klägerin die Zahlung des Reisepreises zum maßgeblichen Zeitpunkt für erforderlich halten. Denn der Lebensgefährte der Beklagten wollte kurz vor Antritt der Reise die Reiseunterlagen gegen Barzahlung im Reisebüro in H. abholen. Dies setzte aber voraus, dass die Reiseunterlagen dort bereits vorlagen, was wiederum - wie bereits unter bb) ausgeführt - die Zahlung des Reisepreises durch die Klägerin an den Reiseveranstalter erforderlich machte.
Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es dagegen nicht darauf an, ob die Klägerin die Zahlung von Stornierungsgebühren an die Beklagte für erforderlich halten durfte. Vielmehr ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die Klägerin ihre Disposition getroffen hat. Zu dem Zeitpunkt der Zahlung des Betrages in Höhe von 102.756,16 DM durch die Klägerin ging es dem Zweck nach lediglich um die Zahlung des Reisepreises und nicht um die Zahlung von Stornierungsgebühren, da solche zu dem Zeitpunkt noch gar nicht fällig waren.
c) Von den getätigten Aufwendungen in Höhe von 77.067,12 DM ist die Gutschrift der Klägerin zu Gunsten der Beklagten in Höhe von 262,- DM in Abzug zu bringen, so dass die Beklagte an die Klägerin einen Betrag in Höhe von insgesamt 76.805,12 DM zu zahlen hat.
d) Der Anspruch ist auch nicht wegen eines Schadenersatzanspruches der Beklagten aus pVV in gleicher Höhe ausgeschlossen, den die Beklagte der Klägerin entgegenhalten könnte (§ 242 BGB).
Entgegen der Auffassung der Beklagten kann eine Pflichtverletzung der Klägerin im Zusammenhang mit dem Abschluss bzw. der Inanspruchnahme der Reise-Rücktrittskosten-Versicherung nicht festgestellt werden.
Die Beklagte hat selbst in der mündlichen Verhandlung vom 13. 11. 2002 erklärt, dass sie das Bestreiten des Abschlusses einer Reise-Rücktrittskosten- Versicherung durch die Klägerin nicht mehr aufrecht erhält. Sie hat eine Pflichtverletzung lediglich noch damit begründet, dass das Schadensformular ihr nicht zugegangen sei und die Klägerin es zumindest verabsäumt habe, bei der Beklagten nachzufragen, ob sie das Schadensformular, welches bei der Versicherung einzureichen gewesen wäre, ausgefüllt und abgesandt habe.
Derartige Mitwirkungspflichten im Hinblick auf die Inanspruchnahme der Reise-Rücktrittskosten-Versicherung durch die Beklagte ergeben sich aus dem Reisevermittlungsvertrag per se nicht. Vielmehr ist es grundsätzlich Sache des Versicherungsnehmers - mithin der Beklagten - , sich um die Abwicklung des Schadensfalls zu kümmern. Anders wäre es allenfalls, wenn die Klägerin Anhaltspunkte dafür gehabt hätte, dass es der Beklagten ohne Mithilfe der Klägerin nicht möglich gewesen wäre, den Schaden gegenüber der Versicherung geltend zu machen, etwa weil ihr diese nicht bekannt ist oder ihr Unterlagen fehlen, die ausschließlich der Klägerin zur Verfügung stehen. Anhaltspunkte dafür, dass sich die Beklagte in irgend einer Form an die Klägerin mit der Bitte um Mitwirkung bei der Inanspruchnahme der Versicherung gewandt hat, ergeben sich weder aus dem Vortrag der Beklagten noch aus den Umständen. Vielmehr hat sich die Beklagte nach ihrem eigenen Vortrag hinsichtlich der Abwicklung der Angelegenheit nach Stornierung der Reise auf ihren damaligen Lebensgefährten verlassen. Dass dieser sich um die Inanspruchnahme der Versicherung letztlich nicht gekümmert hat, muss sich die Beklagte zurechnen lassen. Sie kann etwaige Versäumnisse der Klägerin insoweit nicht anlasten. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beklagte wegen erheblicher Beträge in Anspruch genommen wird. Denn gerade in einem solchen Fall konnte die Klägerin davon ausgehen, dass die Beklagte die Angelegenheit selbst in die Hand nimmt und sich mit der Versicherung in Verbindung setzt, um diesen erheblichen Schaden von sich abzuwenden.