OLG Karlsruhe, Urteil vom 27. 3. 2002 - 6 U 200/01 (Lottotipps)
Zum Sachverhalt:
Die Kl. organisiert gewerblich Lottospielgemeinschaften. Die Bekl. betreibt ein Internetportal. Sie bietet dort an, Lottospieltipps gegen Entgelt an eine Lottospielgesellschaft weiterzuleiten. Dazu ist zunächst erforderlich, dass sich der Internetbenutzer bei der Bekl. registrieren lässt. Dann kann der Kunde online einen Lottoschein „ausfüllen“. Alle Seiten im Zusammenhang mit der Lottoannahme sind so gestaltet, dass in einem Rahmen links unter dem Menuepunkt „Preise/AGB“ der Unterpunkt „AGB“ ausgewählt werden kann. Die Betätigung von „AGB“ führt zu den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Bekl., in denen sie sich selbst als „W-AG (nachstehend, W genannt)“ bezeichnet. Sämtliche Seiten - auch die bei der Registrierung zu durchlaufenden - weisen im Navigationsmenü im Seitenkopf und in einer Zeile am Fuß der Seite die Links „Suche - Themen - Dienste - FreeMail - Hilfe - Kontakt“ auf. Die Betätigung von „Kontakt“ führt zu einer Seite, auf der der Nutzer über ein Formular eine Anfrage an die Bekl. richten kann. In einem Rahmen rechts auf der Seite finden sich unter der Überschrift „Impressum“ neben der Firma der Bekl. ihre Anschrift und die Namen ihrer Vorstandsmitglieder. Die Parteien des einstweiligen Verfügungsverfahrens streiten darüber, ob die Bekl. damit den Regelungen der §§ 2 und 3 FernAbsG a.F. genügt hat. Die Berufung der Bekl. hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
Die Berufung der Bekl. ist zulässig, aber unbegründet. Das LG hat der Bekl. mit Recht einstweilen verboten, Verträge über die Einreichung eines Lottospieltipps anzubieten, ohne im Internet die gesetzlich gebotenen Informationen über ihre Identität, ihre Anschrift und die Art des Geschäfts zu geben. Die Berufung der Kl. ist zulässig und begründet. Das LG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu Unrecht teilweise zurückgewiesen. Es besteht auch ein Anspruch der Kl., dass die Bekl. einstweilen unterlässt, Verträge über die Einreichung eines Lottospieltipps anzubieten, ohne über das Widerrufsrecht des Kunden zu informieren.
Der Verfügungsanspruch ergibt sich aus § 1 UWG. Die Bekl. hat im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs mit ihrem Internetangebot eine Handlung vorgenommen, die gegen die guten Sitten verstößt. Sie hat sich durch bewussten und planmäßig verübten Rechtsbruch einen sachlich ungerechtfertigten Vorsprung vor ihren gesetzestreuen Wettbewerbern verschafft (vgl. OLG Frankfurt a. M., OLGR 2001, 195; LG Duisburg, WRP 2001, 981).
I. Die Bekl. hat durch die Art und Weise der Ausgestaltung ihres bisherigen Angebots im Internet gegen ihre Pflicht zur Information über Identität und Anschrift gem. § 2 II Nrn. 1 und 2 FernAbsG a.F. (§ 312c I 1 Nr. 1 BGB i.V. mit Art. 240 EGBGB und § 1 I Nrn. 1 bis 3 BGB-InfoV) verstoßen.
1. Im Rahmen des Angebots der Vermittlung von Lottowetten ist die Bekl. Unternehmer. Sie ist als Aktiengesellschaft eine juristische Person (§ 1 I 1 AktG) und handelte bei Abschluss des Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen Tätigkeit, § 14 I BGB. Der Vertragspartner ist regelmäßig ein Verbraucher. Er handelt als natürliche Person und schließt das Rechtsgeschäft der Lottowette zu einem Zweck, der weder seiner gewerblichen noch der selbstständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann, § 13 BGB. Der von der Bekl. angebotene Vertrag ist ein Fernabsatzvertrag. Es soll von der Bekl. eine Dienstleistung unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln erbracht werden, § 1 I 1 FernAbsG a.F. (§ 312b I 1 BGB). Wird der Teilbereich „World Wide Web“ des Internet so wie von der Bekl. genutzt, so ist er ein Fernkommunikationsmittel, § 1 I 1 FernAbsG a.F. (§ 312b I 1 BGB). In ihm findet der Informationsaustausch zur Anbahnung und zum Abschluss des Vertrags ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Vertragsparteien statt, § 1 II FernAbsG a.F. (§ 312b II BGB).
2. Die Bekl. hat nicht über ihre Identität und Anschrift und über wesentliche Merkmale der Dienstleistung in einer dem eingesetzten Fernkommunikationsmittel entsprechenden Weise klar und unmissverständlich aufgeklärt, § 2 II Nrn. 1 und 2 FernAbsG a.F. (§ 312c I 1 Nr. 1 BGB i.V. mit Art. 240 EGBGB und § 1 I Nrn. 1 bis 3 BGB-InfoV).
a) Die Angabe der Firma und der Anschrift ist nicht klar und unmissverständlich erfolgt. Die Nennung dieser Daten unter der Überschrift „Impressum“ auf einer über den Link „Kontakt“ im Kopf und in der Bodenzeile zu erreichenden besonderen Seite reicht nicht aus. Wann der Unternehmer den Verbraucher in ausreichender Weise aufgeklärt hat, ist im Gesetz nicht näher definiert. Auch Art. 4 I und 2 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 5. 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (ABlEG Nr. L 144, S. 19, im Folgenden: FARL), deren Umsetzung § 2 II FernAbsG a.F. (§ 312c I 1 Nr. 1 BGB i.V. mit Art. 240 EGBGB und § 1 I Nrn. 1 bis 3 BGB-InfoV) diente, bietet keinen genaueren Anhalt. Die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung problematisiert nur, ob stets die Benutzung der deutschen Sprache erforderlich sein wird und führt lediglich aus, in der Regel werde es als rechtzeitig anzusehen sein, wenn die Informationen in Werbeprospekten, Katalogen oder auf Web-Seiten im Internet enthalten sind, auf Grund derer sich der Verbraucher zur Bestellung entschließt (BT-Dr 14/2658, S. 38 [li. Sp.], vgl. auch Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 2 FernAbsG Rdnrn. 1 und 3). Sinn und Zweck der gesetzlichen Informationspflicht über Identität und Anschrift ist, dass der Unternehmer den Verbraucher von sich aus klar und unmissverständlich darauf hinweist, mit wem er in geschäftlichen Kontakt getreten ist. Demnach genügt es nicht, wenn der Verbraucher durch den Unternehmer lediglich in die Lage versetzt wird, sich diese Informationen zu verschaffen. Erforderlich ist daher mindestens, dass die Informationen - wenn auf sie wie hier nicht ausdrücklich hingewiesen wird - wenigstens an so herausgehobener Stelle im Online-Formular angebracht sind, dass der Verbraucher gleichsam zwangsläufig auf sie stoßen muss (Wendehorst, in: MünchKomm, 4. Aufl., § 3 FernAbsG Rdnr. 34). Ob es sogar gefordert wird, dass der Nutzer zum Aufruf der Daten gezwungen wird (so OLG Frankfurt a.M., OLGR 2001, 195) kann hier dahinstehen. Jedenfalls ist die Angabe im „Impressum“ einer durch den Link „Kontakt“ erreichbaren Seite nicht klar und unmissverständlich. Kontakt bezeichnet nach einem im World Wide Web bei Verwendung der deutschen Sprache inzwischen verfestigten Gebrauch eine Seite, die den Benutzer in die Lage versetzen soll, mit der im Internet auftretenden Person in Kontakt zu treten. Dass sich es sich hierbei nicht nur um einen mailto-Link handelt, sondern dass dort Informationen über Firma und Anschrift bereit gehalten werden, bleibt weiten Teilen der angesprochenen Verkehrskreise, zu denen auch die Mitglieder des Senats gehören, verborgen. Darüber hinaus gibt die Überschrift „Impressum“ auch zu Missverständnissen Anlass, weil im Impressum einer Veröffentlichung die nach dem Presserecht verantwortlichen Personen genannt zu werden pflegen. Dass es sich hierbei tatsächlich um die selbe Person handelt, mit der ein Geschäftsbesorgungsvertrag zur „Online-Abgabe eines Lottoscheins“ geschlossen werden kann, ist für einen großen Teil der Verbraucher jedenfalls unklar.
b) Auch die Informationen über wesentliche Merkmale der Dienstleistung waren auf den Internetseiten der Bekl. nicht klar und unmissverständlich. Die Angaben, dass die Bekl. nicht selbst Partner der Wette mit dem Verbraucher wird, sondern nur als Beauftragter des Kunden dessen Angebot der Lottogesellschaft unterbreitet, und dabei nicht dafür einsteht, dass der Vertrag zu Stande kommt, sind wesentliche Merkmale der Dienstleistung. Der Begriff „wesentliche Merkmale“ ist deskriptiv zu verstehen. Es müssen nicht alle Einzelheiten angegeben werden. Der Verbraucher soll aber in die Lage versetzt werden, das Leistungsangebot des Unternehmers zu bewerten (BT-Dr 14/2658, S. 38 [re. Sp.]). Deshalb müssen die wesentlichen Merkmale der zu erbringenden Leistung beschrieben werden (vgl. Palandt/Heinrichs, § 2 FernAbsG Rdnr. 6). Dazu ist es im vorliegenden Fall unerlässlich, dem Verbraucher nahe zu bringen, dass er die Wette nicht mit der Bekl. abschließt, sondern der Vertrag nur die Dienstleistung der Weitergabe seines Tipps an ein anderes Unternehmen gegen Zahlung eines Lohnes (von der Bekl. „Handlinggebühr“ genannt) umfasst. Nur wenn diese Ausgestaltung des abzuschließenden Vertrags deutlich gemacht wird, kann der Verbraucher das Angebot der Bekl. bewerten. Zwar mag dem Verbraucher Lotto als die Mittwochs und Samstags erfolgende Ausspielung „6 aus 49“ geläufig sein. Hieraus folgt aber entgegen der Ansicht der Bekl. nicht, dass dem Verbraucher ohne weitere Hinweise bewusst ist, im Internet werde er lediglich eine Dienstleistung zur Weitergabe seines Vertragsangebots an eine Lottogesellschaft erhalten und nicht unmittelbare seinen Tipp abgeben können. Dies gilt erst recht dann, wenn wie hier die Angaben über die Identität seines Gegenüber nur schwierig und missverständlich zu erlangen sind. Die bloße Möglichkeit, sich durch einen Klick auf den Link „AGB“ genauere Kenntnis vom Wesen des Geschäfts zu verschaffen, genügt den Anforderungen an eine vom Unternehmer ausgehende Information über die wesentlichen Merkmale der Dienstleistung nicht. Es reicht nicht aus, auf die umfassende rechtliche Regelung des Vertrags zu verweisen. Gefordert ist vielmehr eine Information über dessen wesentlichen Kern.
II. Die Bekl. hat durch die Art und Weise der Ausgestaltung ihres bisherigen Angebots im Internet auch gegen ihre Pflicht zur Information über das Widerrufsrecht des Kunden gem. § 2 II Nr. 8 FernAbsG a.F. (§ 312c I 1 Nr. 1 BGB i.V. mit Art. 240 EGBGB und § 1 I Nr. 9 BGB-InfoV) verstoßen.
1. Den Kunden der Bekl., die von der Möglichkeit Gebrauch machen, ihren Lottotippschein online über die Bekl. bei einer Lottogesellschaft einzureichen, stand zum Zeitpunkt der Handlung der Bekl. ein Widerrufsrecht nach § 3 I FernAbsG a.F. i.V. mit § 361a BGB a.F. (§ 312d I 1 BGB i.V. mit § 355 BGB) zu. Das Widerrufsrecht war nicht gem. § 3 II Nr. 4 FernAbsG a.F. (§ 312d IV Nr. 4 BGB) ausgeschlossen. Der von der Bekl. angebotene Vertrag ist kein Vertrag zur Erbringung von Wett- oder Lotteriedienstleistungen. Allerdings geht die Auffassung zu weit, hierunter fielen nur staatlich genehmigte und nach § 763 BGB rechtsverbindliche Wetten (vgl. Palandt/Heinrichs, § 3 FernAbsG Rdnr. 11), denn § 3 II Nr. 4 FernAbsG a.F. (§ 312d IV Nr. 4 BGB) dient der Umsetzung von Art. 6 III Spiegelstrich 6 FARL und ist deshalb nicht nach den Begriffen des deutschen Zivilrechts, sondern im Lichte der Richtlinie auszulegen. Danach zeichnen sich die betroffenen Dienstleistungen durch ein spekulatives oder aleatorisches Element aus (vgl. BT-Dr 14/2658, S. 44 [l. Sp.], Wendehorst, § 3 FernAbsG Rdnr. 38 m.w. Nachw.). Ein solches fehlt aber beim Vertrag zwischen der Bekl. und dem Verbraucher. Der zwischen diesen zu schließende Geschäftsbesorgungsvertrag bietet dem Verbraucher für seine Gegenleistung keine Gewinnchance, sondern lediglich die Weiterleitung seines Antrags an eine Lottogesellschaft. Bei der Auslegung des Begriffs der Wett- und Lotteriedienstleistungen ist zu bedenken, dass diese nicht wie zahlreiche andere Geschäftsarten (vgl. § 1 III FernAbsG a.F. § 312d III BGB) überhaupt von der Anwendung der Vorschriften über Fernabsatzverträge ausgenommen sind. Bei einer solchen Bereichsausnahme ist es zutreffend, danach zu fragen, ob ein Geschäft, das nicht selbst beispielsweise ein Fernunterrichtsvertrag ist, sondern seiner Vermittlung dient, auch unter die Bereichsausnahme fällt. Hier hat der Gesetzgeber bei Wett- und Lotteriedienstleistungen aber nur einen speziellen Teil der Verbraucherrechte - nämlich das Widerrufsrecht - für nicht anwendbar erklärt hat. Dies hat seinen Grund in der besonderen Struktur von Wettgeschäften, die auf den Eintritt eines ungewissen zukünftigen Ereignisses abstellen und bei denen üblicherweise die Chancen zu einem bestimmten Zeitpunkt von den Wettpartnern eingeschätzt werden. Dann wäre es in der Tat nach der Eigenart des Geschäfts unangemessen, wenn sich ein Teil - insbesondere bei einer Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse - einseitig von seiner Wette durch einen Widerruf lösen könnte. Von solchen Ungewissheiten, Spekulationen und aleatorischen Reizen ist dagegen die Geschäftsbesorgung durch die Bekl. nicht betroffen. Es sind keine durchgreifenden sachlichen Gründe erkennbar, warum der Verbraucher nicht widerrufen können soll, solange - bildlich gesprochen - der Lottoschein noch bei der Bekl. liegt und diese sich noch nicht auf den Weg zur Annahmestelle gemacht hat.
2. Die Belehrung über dieses Widerrufsrecht ist entgegen der Ansicht der Berufung der Bekl. auch nicht sinnlos. Zwar erlischt das Widerrufsrecht gem. § 3 I 3 Nr. 2 lit. b FernAbsG a.F. (§ 312d III BGB) bei Dienstleistungen, wenn der Unternehmer mit der Ausführung der Dienstleistung mit Zustimmung des Verbrauchers vor Ende der Widerrufsfrist begonnen hat. Mag dieses Erlöschen nach dem Vortrag der Bekl. auch häufig unmittelbar auf den Abschluss des Geschäftsbesorgungsvertrags folgen, so steht nach dem Vortrag der Bekl. und den von ihr verwendeten allgemeinen Geschäftsbedingungen doch fest, dass der Verbraucher keinen Einfluss darauf hat, wann die Bekl. sein Angebot an die Lottogesellschaft weiterleitet. Solange sie dies nicht getan hat, etwa weil eine technische Störung aufgetreten ist oder weil sie sich entschlossen hat, die Tipps ihrer Kunden erst zu sammeln und dann geschlossen kurz vor Annahmeschluss abzugeben, besteht das Widerrufsrecht fort. Deshalb ist eine Belehrung hierüber auch dann nicht entbehrlich, wenn der Unternehmer regelmäßig seine Dienstleistung vor dem Ende der Widerrufsfrist beginnen soll (LG Hamburg, CR 2001, 475).
Die in der Vergangenheit bereits geschehenen Verstöße gegen die Vorschriften des Fernabsatzgesetzes begründen die nahe liegende, auf Tatsachen gestützte, dringende Gefahr, die Bekl. werde in Zukunft auch den im Wesentlichen gleichlautenden Vorschriften des § 312c II Nr. 1 BGB i.V. mit § 1 I Nrn. 1 bis 3 und 9 BGB-InfoV zuwiderhandeln. Die durch Rechtsbruch erlangten Wettbewerbsvorteile sind wettbewerbsrechtlich relevant. Sie haben der Bekl. die Möglichkeit verschafft, die Wettbewerbslage zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Die Kl. ist als unmittelbare Wettbewerberin selbst verletzt und damit Inhaberin des Unterlassungsanspruchs. Der Verfügungsgrund wird gem. § 25 UWG vermutet. Da die Bekl. zur Unterlassung zu verurteilen war, müssen ihr auf Antrag der Kl. gem. § 890 II ZPO die gesetzlichen Folgen einer Zuwiderhandlung angedroht werden.