BGH, Versäumnisurteil vom 17. 3. 2004 - VIII ZR 265/03 (LG Osnabrück)
Zum Sachverhalt:
Der Bekl. bestellte bei der Kl., die einen Kunstversand betreibt, am 29. 10. 2002 telefonisch eine aus sechs Bildern bestehende Kunstgrafikmappe für 1194,12 Euro inkl. MwSt., wobei ein Kauf auf Probe vereinbart wurde. Die Ware wurde am 5. 11. 2002 ausgeliefert. Im beigefügten Schreiben mit der Überschrift „Auftrag-Nr. …, Rechnung-Nr. … und Lieferschein“ heißt es wie folgt: „Wir danken für den Abschluss des Kaufs auf Probe vom 29. 10. 2002 und übersenden anbei die bestellte Kunstgrafikmappe. Bei einem Kauf auf Probe steht die Billigung der gekauften Grafikmappe in Ihrem Belieben. Der Kauf ist unter der aufschiebenden Bedingung der Billigung geschlossen. Die Billigungsfrist beträgt zwei Wochen ab Eingang der Ware bei Ihnen. Ihr Schweigen gilt als Billigung (§§ 454, 455). Billigen Sie nicht, sind Sie verpflichtet, auf meine Gefahr und meine Kosten die Kunstgrafikmappe zuzusenden.“ In einem weiteren Abschnitt des Schreibens heißt es: „W i c h t i g: Widerrufsbelehrung: Sie können den auf Probe geschlossenen Kaufvertrag innerhalb von zwei Wochen ohne Angabe von Gründen widerrufen, anderenfalls der Kauf auf Probe rechtsverbindlich wird. Die Frist zum Widerruf beginnt mit dem Erhalt der Bilder durch Zustellung bei Ihnen. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs an die Firma E … (Kl.). Widerrufen Sie, sind Sie verpflichtet, die erhaltenen Bilder auf meine Gefahr und meine Kosten zurückzusenden. Zur Ausübung Ihres Widerrufs genügt es auch, wenn Sie die Bilder innerhalb von zwei Wochen an den Widerrufsempfänger zurückschicken. Die Zwei-Wochen-Frist beginnt mit dem Erhalt der Bilder durch Zustellung bei Ihnen. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung …“ Am 20. 11. 2002 gab der Bekl. die Ware durch Aufgabe zur Post an die Kl. zurück. Mit ihrer Klage nimmt die Kl. den Bekl. auf Zahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Lieferung der Grafikmappe in Anspruch.
Das AG hat der Klage stattgegeben, das LG hat die Berufung des Bekl. zurückgewiesen. Die Revision hatte Erfolg und führte zur Klageabweisung.
Aus den Gründen:
1. Zwischen den Parteien ist auf Grund der Bestellung des Bekl. vom 29. 10. 2002, wie die Vorinstanzen rechtsfehlerfrei und unangegriffen festgestellt haben, ein Kauf auf Probe i.S. des § 454 BGB geschlossen worden, der unter der aufschiebenden Bedingung der Billigung durch den Bekl. stand. Die vereinbarte Billigungsfrist von zwei Wochen begann mit Eingang der Grafikmappe bei dem Bekl. am 5. 11. 2002 und endete am 19. 11. 2002, so dass die Rücksendung der Ware am 20. 11. 2002 verspätet erfolgte und das Schweigen des Bekl. während der vereinbarten Frist als Billigung des Kaufvertrags anzusehen ist (§ 455 S. 2 BGB).
2. Entgegen der Ansicht des BerGer. hat der Bekl. den Kaufvertrag jedoch mit Rücksendung der Ware am 20. 11. 2002 gem. §§ 312d I 1, 355 BGB wirksam widerrufen.
a) Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kaufvertrag am 29. 10. 2002 telefonisch und damit als Fernabsatzvertrag i.S. des §§ 312b I, II BGB geschlossen worden ist, so dass dem Bekl. gem. §§ 312d I 1, 355 BGB ein Widerrufsrecht zusteht.
b) Nach § 355 I 1 BGB, der § 361a I 1 BGB i.d.F. des Gesetzes vom 27. 6. 2000 (BGBl I, 897) entspricht, ist der Verbraucher, dem durch Gesetz ein Widerrufsrecht nach dieser Vorschrift eingeräumt ist, „an seine auf den Abschluss des Vertrags gerichtete Willenserklärung nicht mehr gebunden, wenn er sie fristgerecht widerrufen hat“. Obwohl nach dem Gesetzeswortlaut nicht der Vertrag als Ganzes, sondern nur die auf den Vertragsschluss zielende Willenserklärung des Verbrauchers zu widerrufen ist, wird das Widerrufsrecht überwiegend als besonders ausgestaltetes Rücktrittsrecht verstanden, das den zunächst wirksam zu Stande gekommenen Vertrag durch Widerruf der Willenserklärung des Verbrauchers in ein Abwicklungsverhältnis umgestaltet (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl., § 355 Rdnr. 3; Ring, in: Anwaltskomm. SchuldR, § 312d Rdnr. 6, § 355 Rdnr. 2; Reich, EuZW 1997, 581 [585]; Bülow, ZIP 1999, 1293 [1295]; Fuchs, ZIP 2000, 1273 [1281]; s. auch Staudinger/Kaiser, BGB, 2001, § 361a Rdnr. 17). Dies entspricht Art. 6 Richtlinie 97/7/EG über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz vom 20. 5. 1997 (ABlEG Nr. L v. 4. 6. 1997, 114 = NJW 1998, 212), der dem Verbraucher das Recht einräumt, „jeden Vertragsschluss im Fernabsatz innerhalb einer Frist von mindestens sechs Werktagen ohne Angabe von Gründen und ohne Strafzahlung (zu) widerrufen“. Nach dieser Auffassung konnte das Widerrufsrecht des Bekl. frühestens mit dem Wirksamwerden des geschlossenen Kaufvertrags, somit erst nach Ablauf der Billigungsfrist am 19. 11. 2002 entstehen.
c) Soweit die Entstehung des Widerrufsrechts bereits für den Zeitpunkt angenommen wird, in dem die auf Abschluss des Fernabsatzvertrags gerichtete Willenserklärung des Verbrauchers wirksam wird, ohne dass es darauf ankommen soll, ob die Willenserklärung bzw. der Vertrag ansonsten wirksam ist oder nicht (Wendehorst, in: MünchKomm, 4. Aufl., § 312d Rdnrn. 18f.; Ulmer, in: MünchKomm, § 355 Rdnr. 21), führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Auch wenn bereits mit Abschluss des Vertrags vom 29. 10. 2002 von einem aufschiebend bedingten Kaufvertrag ausgegangen wird (vgl. RGZ 94, 285 [287]; 137, 297 [298]; Metzger, in: RGRK, 12. Aufl., § 495 Rdnr. 1; Staudinger/Mader, BGB, 1995, § 495 Rdnr. 2; a.A. Larenz, Lehrb. d. SchuldR, Bd. 2 Halbbd. 1, 13. Aufl., S. 144f.), bedarf es noch einer weiteren Voraussetzung zum Vertragsschluss. Durch diesen Vertrag ist bis zum Ablauf der Billigungsfrist lediglich der Verkäufer gebunden, während die Entscheidung über die Billigung oder Missbilligung im freien Belieben des Käufers steht (RG, JW 1923, 605; Metzger, in: RGRK, § 405 Rdnr. 1; Soergel/Huber, BGB, 12. Aufl., § 495 Rdnr. 1; H. P. Westermann, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 495 Rdnrn. 1f.). Da erst die Billigung der für den eigentlichen Vertragsabschluss entscheidende Zeitpunkt ist, geht die Gefahr des zufälligen Untergangs noch nicht während der Schwebezeit, sondern erst mit der Billigung auf den Käufer über (Senat, NJW 1975, 776 = DB 1975, 589 unter II 3; Metzger, in: RGRK, § 495 Rdnr. 7; Staudinger/Mader, § 495 Rdnr. 21; Soergel/Huber, § 495 Rdnr. 10); für den Verlust der Gewährleistungsrechte nach § 460 BGB a.F. (§ 442 BGB n.F.) ist ebenfalls erst der Zeitpunkt der Billigung und nicht der Abschluss des aufschiebend bedingten Kaufvertrags maßgebend (RGZ 94, 285 [287]; H. P. Westermann, in: MünchKomm, § 495 Rdnr. 9; Soergel/Huber, § 495 Rdnr. 11).
Mit Rücksicht darauf, dass somit erst die Billigung des Käufers den zunächst auf Probe abgeschlossenen Kaufvertrag voll wirksam macht und den Käufer vertraglich bindet, erscheint es gerechtfertigt, die Billigung als den nach § 355 I 1 BGB maßgeblichen Zeitpunkt anzusehen, von dem an die Widerrufsfrist für die auf den Abschluss des Verbrauchervertrags gerichtete Willenserklärung des Käufers zu laufen beginnt.
d) Auch die mit der Billigungsfrist des § 455 BGB einerseits und des Widerrufsrechts nach § 312d BGB andererseits verfolgten unterschiedlichen Ziele stehen einem Parallellauf beider Fristen entgegen. Während mit der Übergabe der Sache beim Kauf auf Probe der mit der Billigungsfrist verfolgte Zweck in erster Linie darin besteht, dem Käufer Gelegenheit zur Prüfung der Tauglichkeit der Sache zu geben (BGHZ 119, 35 [39] = NJW 1992, 2413; Staudinger/Mader, § 495 Rdnr. 5), will das nunmehr in den §§ 312b bis 312d BGB geregelte Fernabsatzrecht vor den spezifischen Gefahren von Verträgen schützen, bei denen der Verbraucher regelmäßig die Ware oder Dienstleistung sowie die Person seines Geschäftspartners vor Vertragsschluss nicht zu sehen bekommt. Für den Verbraucher besteht in einem solchen Fall die Gefahr, dass er die nötigen Informationen über die Ware oder Dienstleistung und die Person des Vertragspartners infolge verringerter Rückfragemöglichkeiten entweder überhaupt nicht oder jedenfalls nur in „flüchtiger“ Form erhält. Abgesehen davon, dass der Verbraucher die Eigenschaften der zu erwerbenden Ware oder Dienstleistung mangels unmittelbarer Möglichkeit der Inaugenscheinnahme und Untersuchung nicht zur Kenntnis nehmen kann, besteht für ihn vielfach auch keine Möglichkeit, von der Seriosität seines Vertragspartners selbst einen Eindruck zu gewinnen und insbesondere in Erfahrung zu bringen, an wen er sich wegen möglicher Gewährleistungsrechte zu wenden hat (Wendehorst, in: MünchKomm, Vorb. § 312b Rdnr. 4 unter Hinw. auf die Erwägungsgründe 11, 13 und 14 der Richtlinie 97/7/EG; s. auch Schmidt-Räntsch, in: Bamberger/Roth, BGB, 2003, Vorb. § 312b Rdnr. 1; Fuchs, ZIP 2000, 1273).
Damit stehen aber der Regelungszweck des Fernabsatzrechts als Verbraucherschutzrecht und der mit dem Kauf auf Probe verfolgte Zweck nebeneinander. Sind dem Käufer, der einen Kaufvertrag auf Probe abgeschlossen hat, sowohl die vertragliche Billigungsfrist des § 455 BGB wie das gesetzliche Widerrufsrecht gem. §§ 312d, 355 BGB eingeräumt worden, müssen ihm die genannten Fristen auch in vollem Umfang erhalten bleiben.
3. Die mit Ablauf der zweiwöchigen Billigungsfrist erst beginnende Widerrufsfrist wäre danach nicht abgelaufen, als der Bekl. am 20. 11. 2002 die Grafikmappe durch Aufgabe zur Post an die Kl. zurückgegeben und damit sein Widerrufsrecht ausgeübt hat (§§ 312d I 1, 355 I 2 BGB). Da die Kl. den Bekl. entgegen ihrer Informationspflicht gem. § 312c II BGB i.V. mit § 1 III Nr. 1 BGB-InfoV nicht zutreffend über den Beginn der Widerrufsfrist unterrichtet hat, wäre zudem das Widerrufsrecht des Bekl. gem. § 355 III 3 BGB ohnehin nicht erloschen. Mangels Vorliegens eines wirksamen Kaufvertrags ist daher der mit der Klage verfolgte Kaufpreisanspruch der Kl. nicht begründet, so dass die Klage unter Aufhebung des Urteils des LG sowie Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils abzuweisen ist.