1 Was bedeutet der Ausdruck "Elterliche Verantwortung" in der Praxis? Was sind die Rechte und Pflichten des Inhabers elterlicher Verantwortung?
Der Begriff „elterliche Verantwortung“ bezeichnet das Sorgerecht, d. h. die Pflichten und Rechte eines Elternteils im Zusammenhang mit der Versorgung seines minderjährigen Kindes. Der Begriff „elterliche Sorge“ umfasst das Recht, für die Person eines Kindes zu sorgen („Personensorge“), das Recht, das Vermögen des Kindes zu verwalten, („Vermögenssorge“) und das Recht, über Angelegenheiten in Bezug auf das Kind zu entscheiden. Der Begriff „Vermögenssorge“ umfasst das Recht und die Pflicht, das Vermögen des Kindes zu verwalten. Dazu gehört auch, das Kind entsprechend zu vertreten. Dadurch ist jedoch das Recht des Kindes nicht ausgeschlossen, in jenen Fällen, in denen dies gesetzlich möglich ist, sein Vermögen unabhängig zu verwalten.
Ein Elternteil verfügt über Entscheidungsbefugnisse in Bezug auf das minderjährige Kind, d. h. über das Recht, in Angelegenheiten zu entscheiden, die das tägliche Leben des Kindes betreffen („gewöhnliches Sorgerecht“). Entscheidungen in alltäglichen Angelegenheiten sind im Allgemeinen als routinemäßige Entscheidungen zu verstehen, die häufig zu treffen sind und keine dauerhaften Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben. Neben der Entscheidungsbefugnis hat ein sorgeberechtigter Elternteil auch ein Vertretungsrecht in Bezug auf das minderjährige Kind. Eltern, die die gemeinsame elterliche Sorge für ein Kind haben, haben auch ein gemeinsames Vertretungsrecht.
Beide Elternteile haben ein Umgangsrecht. So werden die Pflicht und das Recht beider Elternteile bezeichnet, mit dem Kind persönlich zu kommunizieren. Das Umgangsrecht der Eltern hängt nicht vom Bestehen eines Sorgerechts ab. Des Weiteren sind Eltern gegenüber ihrem minderjährigen Kind unterhaltspflichtig.
2 Wer hat generell die elterliche Verantwortung für ein Kind?
Die gegenseitigen Rechte und Pflichten von Eltern und Kindern ergeben sich aus der Abstammung des Kindes, die nach dem gesetzlich vorgesehenen Verfahren festgestellt wird. Die Mutter ist die Frau, die das Kind zur Welt gebracht hat. Der Vater ist der Mann, der das Kind gezeugt hat. Ein Kind gilt als von dem Mann gezeugt, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet war, der die Vaterschaft anerkannt hat oder dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt wurde.
Die elterliche Verantwortung in Form des Sorgerechts für ein Kind wird von verheirateten Eltern gemeinsam wahrgenommen. Wenn die Eltern zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes nicht miteinander verheiratet sind, haben sie das gemeinsame Sorgerecht, wenn sie bei der Anerkennung der Vaterschaft nicht den Wunsch geäußert haben, das Sorgerecht auf nur einen Elternteil zu beschränken.
In Fällen, in denen keiner der Elternteile des minderjährigen Kindes das Vertretungsrecht innehat oder die Abstammung des Kindes nicht ermittelt werden kann, wird für das Kind ein Vormund bestellt. In diesen Fällen hat der Vormund das Sorgerecht. Aufgabe des Vormunds ist es, das Kind zu erziehen und seine persönlichen und vermögensrechtlichen Interessen zu schützen.
Vormund kann jede erwachsene natürliche oder juristische Person sein, die unbeschränkt geschäftsfähig ist. Dazu gehören Verwandte des Kindes, Dritte oder juristische Personen (ein Unternehmen oder eine örtliche Behörde). Eine juristische Person wird zum Vormund bestellt, wenn keine geeignete natürliche Person gefunden wird oder wenn ein Elternteil einen entsprechenden Wunsch in seinem Testament oder in einem Vertrag über die Rechtsnachfolge äußert. Die juristische Person ist verpflichtet, systematisch natürliche Personen zu suchen, die als Vormund für die Person(en) fungieren, die unter der Vormundschaft der juristischen Person steht bzw. stehen. Des Weiteren ist die juristische Person verpflichtet, diese natürlichen Personen zu beraten und zu schulen.
Bis zur Bestellung eines gesetzlichen Vormunds werden die Pflichten des Vormunds vorübergehend von der Kommunal- oder Stadtverwaltung am gemeldeten Wohnsitz des Kindes ausgeübt, sofern die Voraussetzungen für die Bestellung eines Vormunds erfüllt sind. Bei der Ausübung der vormundschaftlichen Pflichten hat die Kommunal- oder Stadtverwaltung dieselben Rechte und Pflichten wie ein gesetzlicher Vormund.
3 Kann eine andere Person statt der Eltern ernannt werden, wenn diese die elterliche Verantwortung für ihre Kinder nicht ausüben können oder wollen?
Wenn die Eltern das Sorgerecht für ein Kind nicht ausüben wollen oder können, haben sie die Möglichkeit, einer Adoption des Kindes zuzustimmen. Die Zustimmung eines Elternteils zur Adoption tritt frühestens acht Wochen nach der Geburt des Kindes in Kraft. Erst mit Inkrafttreten der Zustimmung eines Elternteils kann vor Gericht ein Antrag auf Adoption gestellt werden. Mit Zustimmung eines Elternteils kann das Kind bereits vor Inkrafttreten der Zustimmung zur Adoption in die Obhut der Person übergeben werden, die das Kind adoptieren möchte.
Hat keiner der Elternteile das Vertretungsrecht für ein minderjähriges Kind inne oder kann die Abstammung des Kindes nicht ermittelt werden, trifft das Gericht von Amts wegen bzw. auf Antrag einer Kommunal- oder Stadtverwaltung oder einer betroffenen Partei eine Entscheidung über die Einsetzung eines Vormunds.
4 Wie wird die Frage elterlicher Verantwortung für die Zukunft geregelt, wenn sich die Eltern scheiden lassen oder trennen?
Wenn sich die Eltern scheiden lassen oder trennen, müssen sie klären, wie sie sorgerechtliche Fragen in Zukunft regeln wollen. Haben beide Elternteile das Sorgerecht, können sie eine gemeinsame Ausübung des Vertretungsrechts vereinbaren. Über eine Änderung des Sorgerechts, auch wenn es um die Auflösung des gemeinsamen Sorgerechts geht, kann jedoch nur ein Gericht entscheiden.
Jeder Elternteil hat das Recht, in einem Antragsverfahren das anteilige oder alleinige Sorgerecht für das Kind zu beantragen. Ein Gericht kann Streitigkeiten in Bezug auf das Sorgerecht auch im Rahmen eines Klageverfahrens entscheiden, wenn bei einer Scheidungs- oder Unterhaltsklage ein entsprechender Antrag gestellt wird.
5 Welche Formalitäten müssen beachtet werden, um eine Einigung der Eltern über die elterliche Verantwortung rechtlich bindend zu machen?
Sorgeberechtigte Eltern können die gemeinsame Ausübung des Vertretungsrechts frei gestalten. Über eine Änderung des Sorgerechts, auch wenn es um die Auflösung des gemeinsamen Sorgerechts geht, kann jedoch nur ein Gericht entscheiden. Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem Sorgerecht werden in rechtlich bindender Form von einem Gericht entschieden und festgelegt. Bei einem Verfahren, das ein Kind betrifft, berücksichtigen die Gerichte vorrangig das Kindeswohl. Dabei erwägen sie alle Umstände und die berechtigten Interessen der betroffenen Personen. Sorgerechtsstreitigkeiten fallen unter das Familienrecht. Solche Fälle werden von den Gerichten in Antragsverfahren verhandelt und durch Richterspruch entschieden. Um seine Rechte in Bezug auf ein Kind feststellen zu lassen, muss ein Elternteil einen Antrag bei Gericht stellen.
6 Was sind andere Wege der Konfliktlösung, ohne vor Gericht zu gehen, wenn die Eltern nicht zu einer Einigung über die elterliche Verantwortung kommen können?
Sorgeberechtigte Eltern können die gemeinsame Ausübung des Vertretungsrechts frei gestalten. Über eine Änderung des Sorgerechts, auch wenn es um die Auflösung des gemeinsamen Sorgerechts geht, kann jedoch nur ein Gericht entscheiden. Um zu einer Einigung zu gelangen, können die Eltern auch den nationalen Familienmediationsdienst in Anspruch nehmen. Der nationale Familienmediationsdienst richtet sich an Eltern, die getrennt leben oder gerade dabei sind, sich zu trennen, ein oder mehrere gemeinsame minderjährige Kinder haben und keine Einigung über Fragen im Zusammenhang mit den Lebensverhältnissen des Kindes (z. B. Umgangs- oder Unterhaltsregelungen) erzielen konnten.
Der nationale Familienmediationsdienst ist für die Eltern kostenlos. Um ihn in Anspruch nehmen zu können, müssen sie sich an die Sozialversicherungsbehörde (Sotsiaalkindlustusamet) wenden. Das Ergebnis des Familienmediationsverfahrens ist eine von den Eltern unterzeichnete Elternschaftsvereinbarung. Eine von der Sozialversicherungsbehörde gebilligte Elternschaftsvereinbarung ist ein vollstreckbarer Titel. Wenden sich Eltern an den Familienmediationsdienst, so ist es Aufgabe der örtlichen Behörden, sie zu unterstützen und zu beraten.
Wenn es in Gerichtsverfahren um die Festlegung der Regelungen für den Umgang mit dem Kind geht, fungiert das Gericht auch als Schlichtungsstelle. Ziel ist es, dass die Eltern gemeinsam eine Umgangsregelung finden. Dabei hört das Gericht die betroffenen Parteien so schnell wie möglich an und macht sie auf die Möglichkeit aufmerksam, die Unterstützung einer Familienberatungsstelle in Anspruch zu nehmen, insbesondere um sich in Bezug auf die Sorge und die Verantwortung für das Kind zu einigen. Das Gericht kann Verfahren, die ein Kind betreffen, aussetzen, wenn dies nicht zu einer Verzögerung führt, die das Kindeswohl gefährden würde, und wenn die betroffenen Parteien bereit sind, außerhalb des Gerichtsverfahrens Konsultationen aufzunehmen, oder wenn das Gericht aus anderen Gründen der Auffassung ist, dass es eine Möglichkeit gibt, den Fall durch eine Vereinbarung zwischen den Parteien beizulegen.
7 Welche Angelegenheiten kann der Richter in Bezug auf das Kind entscheiden, wenn die Eltern vor Gericht gehen?
Die Zuständigkeit des Gerichts erstreckt sich auf das elterliche Umgangsrecht gegenüber den Kindern, Änderungen beim Sorgerecht, die erneute Übertragung des Sorgerechts, die Unterhaltspflicht sowie Änderungen der Höhe des Unterhalts auf Antrag eines Elternteils.
8 Bedeutet es, wenn das Gericht entscheidet, dass ein Elternteil die alleinige elterliche Verantwortung für ein Kind hat, dass er oder sie alle Angelegenheiten in Bezug auf das Kind entscheiden kann, ohne sich zuerst mit dem anderen Elternteil zu beraten?
Die gegenseitigen Rechte und Pflichten von Eltern und Kindern leiten sich aus der Verwandtschaftsbeziehung ab, die gemäß dem gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren festgestellt wurde. Daraus folgt, dass der Elternteil, von dem ein Kind abstammt, verpflichtet ist, für das Kind zu sorgen. Die gegenseitigen Rechte und Pflichten von Eltern und Kindern hängen davon ab, wer das Sorgerecht für das Kind hat. Wenn ein Elternteil das alleinige Sorgerecht hat, kann dieser Elternteil alle Angelegenheiten in Bezug auf das Kind entscheiden, ohne sich zuerst mit dem anderen Elternteil absprechen zu müssen.
Ein Elternteil kann ab dem Zeitpunkt der Geburt des Kindes das alleinige Sorgerecht haben, z. B. wenn der Vater bei einer Anerkennung der Vaterschaft den Wunsch äußert, die elterliche Sorge auf nur einen Elternteil zu beschränken. Auch in den drei nachstehend beschriebenen drei Fällen ist es möglich, dass ein Elternteil das alleinige Sorgerecht erhält:
Ein Elternteil erhält das alleinige Sorgerecht, wenn er im Rahmen eines Antragsverfahrens vor Gericht beantragt hat, dass ihm das anteilige oder alleinige Sorgerecht für das Kind übertragen wird. Eine solche Vereinbarung wird in der Regel von einem Elternteil beantragt, wenn Eltern mit gemeinsamem Sorgerecht dauerhaft getrennt leben oder das Sorgerecht in Zukunft nicht gemeinsam ausüben möchten.
Ein Elternteil übt das alleinige Sorgerecht auch dann aus, wenn zwar beide Elternteile die gemeinsame elterliche Sorge innehaben, die Rechte eines Elternteils jedoch ausgesetzt wurden. Wenn das einem Elternteil von Gesetzes wegen oder durch eine gerichtliche Entscheidung übertragene alleinige Sorgerecht ausgesetzt wird und nicht zu erwarten ist, dass die Gründe für die Aussetzung entfallen werden, überträgt das Gericht dem anderen Elternteil das alleinige Sorgerecht, sofern dies dem Wohl des Kindes entspricht.
Das Gericht überträgt dem anderen Elternteil auch dann das Sorgerecht, wenn der allein sorgeberechtigte Elternteil verstorben ist oder wenn ihm das Sorgerecht entzogen wurde. Voraussetzung hierfür ist, dass dies dem Kindeswohl entspricht.
9 Was bedeutet es in der Praxis, wenn das Gericht entscheidet, dass die Eltern die gemeinsame elterliche Verantwortung für ein Kind haben?
Wenn die Eltern die gemeinsame elterliche Sorge innehaben, üben sie diese in Bezug auf ihr Kind gemeinsam aus und tragen unter stetiger Berücksichtigung des Kindeswohls die Verantwortung für die einheitliche Erfüllung der elterlichen Pflichten. Eltern, die die gemeinsame elterliche Sorge für ein Kind haben, haben auch ein gemeinsames Vertretungsrecht.
Wenn es den gemeinsam sorgeberechtigten Eltern nicht gelingt, sich in einer für das Kind wichtigen Angelegenheit zu einigen, kann das Gericht auf Antrag eines Elternteils einem der beiden Elternteile die Entscheidungsbefugnis in dieser Angelegenheit übertragen. Im Falle der Übertragung von Entscheidungsbefugnissen kann das Gericht die Ausübung dieser Befugnisse einschränken oder dem Elternteil, der dieses Recht ausübt, zusätzliche Pflichten auferlegen.
10 An welches Gericht oder welche Behörde soll ich mich wenden, um einen Antrag in Bezug auf die elterliche Verantwortung zu stellen? Welche Formalitäten müssen beachtet werden und welche Schriftstücke muss ich meinem Antrag beifügen?
Sorgerechtsstreitigkeiten werden von den Landgerichten entschieden. Bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Sorgerecht muss der Antragsteller beim Landgericht eine Entscheidung in einem Antragsverfahren beantragen. Der Antrag ist beim Landgericht am Ort des Wohnsitzes des Kindes einzureichen.
Der Antrag muss den Namen des Gerichts, die Identität des Antragstellers, der von der Rechtssache betroffenen Person und ihrer Kinder sowie die Forderung des Antragstellers enthalten. Letztere muss klar zum Ausdruck gebracht werden. In dem Antrag muss auch der Sachverhalt beschrieben werden und der Antragsteller muss die ihm vorliegenden Beweismittel aufführen und beibringen. Der Antrag muss vom Antragsteller oder einem von ihm bevollmächtigten Vertreter unterzeichnet sein. Unterzeichnet ein Vertreter, ist auch eine Vollmacht oder ein anderes Dokument beizufügen, das seine Vertretungsbefugnisse bescheinigt.
Der Antrag und die Belege müssen dem Gericht schriftlich in estnischer Sprache übermittelt werden. Wenn ein Verfahrensbeteiligter bei Gericht einen Antrag, ein Ersuchen, ein Rechtsmittel oder einen Einspruch in einer anderen Sprache als Estnisch einreicht, fordert das Gericht ihn dazu auf, innerhalb einer bestimmten Frist eine Übersetzung ins Estnische vorzulegen.
Angelegenheiten, bei denen es um die Feststellung der Rechte eines Elternteils in Bezug auf ein Kind und die Regelungen für den Umgang mit dem Kind geht, d. h. um Sorgerechtsangelegenheiten, können auch im Rahmen einer Klage entschieden werden, wenn bei einer Scheidungs- oder Unterhaltsklage ein entsprechender Antrag gestellt wird.
11 Welches Verfahren findet in diesen Fällen Anwendung? Gibt es ein Eilverfahren?
Gerichte hören Sorgerechtsangelegenheiten auf Antrag und im Einklang mit den Bestimmungen zu Klagen. Dabei berücksichtigen sie die für Antragsverfahren geltenden Besonderheiten (siehe Zivilprozessordnung (tsiviilkohtumenetluse seadustik) [1]).
In einem Eilverfahren, das ein Kind betrifft, können die Gerichte nur über Unterhaltsforderungen gegenüber dem Elternteil entscheiden, der von einem minderjährigen Kind getrennt lebt. Sorgerechtsangelegenheiten können nicht in einem vereinfachten Verfahren gehört werden. Allerdings werden Sorgerechtsangelegenheiten im Antragsverfahren gehört und unterscheiden sich daher von gewöhnlichen Klagen. Bei Antragsverfahren würdigt das Gericht den Sachverhalt und trägt selbst die erforderlichen Beweise zusammen, sofern gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Das Gericht ist weder an die von den Verfahrensbeteiligten vorgelegten Anträge oder Fakten noch an deren Bewertungen des Sachverhalts gebunden, sofern gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Auch sind die Anforderungen an die Protokollierung der Anhörungen und die Zustellung von Schriftstücken weniger streng. Bei Sorgerechtsangelegenheiten kann das Gericht zudem Maßnahmen ergreifen, um die Ausübung des Sorgerechts oder den Umgang mit dem Kind für die Dauer des Verfahrens zu regeln oder um eine künftige Einhaltung der Vereinbarungen zu gewährleisten.
Das Gericht kann vorsorgliche oder vorläufige Maßnahmen ergreifen, wenn davon auszugehen ist, dass ohne solche Maßnahmen die Vollstreckung der Gerichtsentscheidung schwierig oder unmöglich wird. Vorläufiger Rechtsschutz in einer Familiensache kann auf Antrag durch jedes Gericht gewährt werden, in dessen örtlichem Zuständigkeitsbereich die betreffende Maßnahme zu ergreifen ist. Beispiele für Maßnahmen sind die Übergabe eines Kindes an den anderen Elternteil oder die Vollstreckung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht. Darunter fällt auch die Möglichkeit, den Beklagten dazu zu verpflichten, während des Verfahrens Unterhalt zu zahlen oder hierfür eine Sicherheit zu leisten.
[1] Zivilprozessordnung (RT I 2005, 26, 197; RT I, 21.6.2014, 58). Im Internet: https://www.riigiteataja.ee/akt/121062014058?leiaKehtiv
12 Kann ich Verfahrenskostenhilfe bekommen, um die Kosten des Verfahrens zu decken?
Wenn das Gericht zu dem Schluss gelangt, dass eine natürliche Person aufgrund ihrer finanziellen Lage die Verfahrenskosten nicht tragen kann, kann es diese Person ganz oder teilweise von den Kosten für den Rechtsbeistand und von der Zahlung staatlicher Gebühren befreien.
13 Ist es möglich, einen Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung in Bezug auf die elterliche Verantwortung einzulegen?
Eine Entscheidung in einem Antragsverfahren ist eine gerichtliche Anordnung, für die die Bestimmungen für gerichtliche Anordnungen im Klageverfahren gelten, sofern gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Gegen eine Sorgerechtsanordnung kann im Einklang mit den allgemeinen Bestimmungen zu Berufungsverfahren ein Rechtsbehelf eingelegt werden, wenn die Person, die den Rechtsbehelf einlegt, der Ansicht ist, dass die Entscheidung des Gerichts erster Instanz auf einer Verletzung einer Rechtsvorschrift beruht (wenn etwa das Gericht erster Instanz eine Bestimmung des materiellen oder des Verfahrensrechts falsch angewendet hat). Deswegen kann auch vor dem Staatsgerichtshof Kassationsbeschwerde eingelegt werden.
14 In bestimmten Fällen kann es erforderlich sein, sich an ein Gericht oder eine andere Behörde zu wenden, um eine Entscheidung zur elterlichen Verantwortung zu vollstrecken. Welches Verfahren findet in solchen Fällen Anwendung?
Sorgerechtsangelegenheiten werden in Antragsverfahren verhandelt. Bei familienrechtlichen Fällen, die in Antragsverfahren entschieden werden, erlässt das Gericht eine Anordnung, die ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens vollstreckbar ist, sofern gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Eine Anordnung, die in einem Antragsverfahren erlassen wird, ist gleichzeitig ein vollstreckbarer Titel. Kommt der Antragsgegner der Sorgerechtsanordnung nicht freiwillig nach, wird sie auf Antrag des Antragstellers in einem Vollstreckungsverfahren vollstreckt. Zu diesem Zweck muss der Antragsteller bei dem Gerichtsvollzieher des Ortes einen Antrag stellen, an dem der Antragsgegner ansässig ist bzw. an dem sich seine Vermögenswerte befinden. Bei Angelegenheiten in Bezug auf den Umgang mit dem Kind arbeitet der Gerichtsvollzieher in Vollstreckungsverfahren mit einem auf die Interaktion mit Kindern spezialisierten Vertreter der Gemeinde am Ort des Wohnsitzes des Kindes oder – in Ausnahmefällen – am Ort des Wohnsitzes der verpflichteten Person zusammen. Bei Bedarf kann der Gerichtsvollzieher der Gemeinde empfehlen, das Kind vorübergehend in einer Wohlfahrtseinrichtung unterzubringen. Wenn die verpflichtete Person die Zwangsvollstreckung verhindert, kann ihr eine Geldbuße auferlegt werden.
15 Was soll ich tun, um eine Entscheidung zur elterlichen Verantwortung, die in einem anderen Mitgliedstaat ergangen ist, in diesem Mitgliedstaat anerkennen und vollstrecken zu lassen?
Nach der Verordnung (EU) 2019/1111 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen wird eine Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat erlassen wird, in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass dies eines besonderen Verfahrens bedarf. Die Verordnung gilt für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Ausnahme Dänemarks.
Eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung über die Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung für ein Kind, die in diesem Mitgliedstaat vollstreckbar ist und die zugestellt wurde, wird in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt, wenn sie dort auf Antrag einer berechtigten Partei für vollstreckbar erklärt wurde. Zu diesem Zweck muss bei Gericht ein Antrag auf Vollstreckbarerklärung gestellt werden.
Das Gericht, an das der Antrag zu richten ist, ist hier zu finden.
Die Partei, die die Anerkennung oder Nichtanerkennung einer Entscheidung oder deren Vollstreckbarerklärung erwirken will, hat Folgendes vorzulegen:
- eine Ausfertigung der Entscheidung, die die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt, und
- die Bescheinigung über das Urteil zur elterlichen Verantwortung.
Das Formular ist hier abrufbar.
Eine Entscheidung über die elterliche Verantwortung wird nicht anerkannt, wenn
- die Anerkennung der öffentlichen Ordnung des Mitgliedstaats, in dem sie beantragt wird, offensichtlich widerspricht, wobei das Wohl des Kindes zu berücksichtigen ist;
- sie in Abwesenheit ergangen ist und der abwesenden Person das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt wurde, dass sie sich verteidigen konnte, es sei denn, es wird festgestellt, dass sie mit der Entscheidung eindeutig einverstanden ist;
- eine Person dies mit der Begründung beantragt, dass die Entscheidung in ihre elterliche Verantwortung eingreift, falls die Entscheidung ergangen ist, ohne dass diese Person die Möglichkeit hatte, gehört zu werden;
- die Entscheidung mit einer späteren Entscheidung über die elterliche Verantwortung unvereinbar ist, die in dem Mitgliedstaat, in dem die Anerkennung beantragt wird, ergangen ist;
- die Entscheidung mit einer späteren Entscheidung über die elterliche Verantwortung unvereinbar ist, die in einem anderen Mitgliedstaat oder Drittstaat, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, ergangen ist, sofern die spätere Entscheidung die notwendigen Voraussetzungen für ihre Anerkennung in dem Mitgliedstaat erfüllt, in dem die Anerkennung beantragt wird;
- das Verfahren nach Artikel 82 der Verordnung (EU) Nr. 2019/1111 des Rates nicht eingehalten wurde.
16 An welches Gericht in diesem Mitgliedstaat soll ich mich wenden, um gegen die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung zur elterlichen Verantwortung vorzugehen, die von einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats getroffen wurde? Welches Verfahren findet in solchen Fällen Anwendung?
Das Gericht, an das der Antrag zu richten ist, ist hier zu finden.
Die Partei, die die Anerkennung oder Nichtanerkennung einer Entscheidung oder deren Vollstreckbarerklärung erwirken will, hat Folgendes vorzulegen:
- eine Ausfertigung der Entscheidung, die die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt, und
- die Bescheinigung über Entscheidungen über die elterliche Verantwortung gemäß Artikel 36 der Verordnung (EU) Nr. 2019/1111 des Rates.
Das Formular ist hier abrufbar.
17 Welches Recht ist in einem Verfahren zur elterlichen Verantwortung anwendbar, wenn das Kind oder die Beteiligten nicht in diesem Mitgliedstaat leben oder unterschiedliche Staatsangehörigkeiten haben?
Nach dem estnischen Gesetz über das internationale Privatrecht (Rahvusvahelise eraõiguse seadus) ist bei familienrechtlichen Eltern-Kind-Beziehungen das Recht des Staates anwendbar, in dem das Kind seinen Wohnsitz hat.
Des Weiteren ist das Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern von 1996 in den Staaten, die dem Übereinkommen beigetreten ist, anwendbar.
Die Bestimmung des anwendbaren Rechts kann auch Gegenstand von Rechtshilfeabkommen sein. Die Republik Estland hat mit folgenden Ländern Rechtshilfeabkommen geschlossen:
- Abkommen über Rechtshilfe und Rechtsbeziehungen zwischen der Republik Lettland, der Republik Estland und der Republik Litauen (1993),
- Abkommen über Rechtshilfe und Rechtsbeziehungen in Zivil-, Familien- und Strafsachen zwischen der Republik Estland und der Russischen Föderation (1993),
- Abkommen über Rechtshilfe und Rechtsbeziehungen in Zivil-, Familien- und Strafsachen zwischen der Republik Estland und der Ukraine (1995),
- Abkommen über Rechtshilfe und Rechtsbeziehungen in Zivil-, Arbeits- und Strafsachen zwischen der Republik Estland und der Republik Polen (1999).
Da alle Parteien der Rechtshilfeabkommen, die mit Litauen, Lettland und Polen geschlossen wurden, auch dem Haager Übereinkommen von 1996 beigetreten sind, haben diese Parteien beschlossen, dass bei der Festlegung des anwendbaren Rechts die Bestimmungen des Übereinkommens gelten sollen.
[1] Gesetz über das internationale Privatrecht (RT I 2002, 35, 217). Im Internet: https://www.riigiteataja.ee/akt/13242136?leiaKehtiv
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