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Beweisaufnahme mittels Videokonferenz

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Estland
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European Judicial Network
(in civil and commercial matters)

1 Ist die Beweisaufnahme mittels Videokonferenz entweder mit Teilnahme des Gerichts des ersuchenden Mitgliedstaats oder direkt durch ein Gericht dieses Mitgliedstaats möglich? Wenn ja, welche einschlägigen innerstaatlichen Verfahren oder Gesetze finden Anwendung?

Beweisaufnahmen können auch per Videokonferenz erfolgen. Gemäß Artikel 20 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 2020/1783 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (Neufassung) führt das ersuchende Gericht die Beweisaufnahme per Videokonferenz oder mittels einer anderen Fernkommunikationstechnologie durch, sofern das Gericht über eine solche Technologie verfügt und es den Einsatz einer solchen Technologie aufgrund der besonderen Umstände des Falls für angemessen hält. Estnische Gerichte verfügen über die erforderlichen Einrichtungen zur Durchführung von Videokonferenzen. Nach § 15 Absatz 6 der estnischen Zivilprozessordnung (Tsiviilkohtumenetluse seadustik, hier online verfügbar) gelten deren Bestimmungen auch für Beweisaufnahmen in Estland aufgrund von Ersuchen von Gerichten aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, soweit in der Verordnung (EU) Nr. 2020/1783 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen nichts anderes bestimmt ist. Sofern durch Gesetze oder Verträge nichts anderes bestimmt ist, leisten estnische Gerichte gemäß § 15 Absatz 5 der Zivilprozessordnung auf Ersuchen eines ausländischen Gerichts bei der Durchführung von Verfahrenshandlungen Rechtshilfe, wenn die ersuchte Handlung nach estnischem Recht in die sachliche Zuständigkeit des estnischen Gerichts fällt und nicht gesetzlich verboten ist. Eine Verfahrenshandlung kann auch nach ausländischem Recht durchgeführt werden, sofern dies für das Verfahren im ausländischen Staat erforderlich ist und die Interessen der Verfahrensbeteiligten dadurch nicht beeinträchtigt werden. Gerichtsverfahren oder Vernehmungen mit Fernteilnahme sind in § 350 der Zivilprozessordnung geregelt. Für die Organisation einer Videokonferenz gemäß der Verordnung (EU) Nr. 2020/1783 gelten keine besonderen Bestimmungen oder Einschränkungen. Dies gilt auch für die Organisation einer Videokonferenz direkt durch das ersuchende Gericht eines anderen Mitgliedstaats gemäß Artikel 20 der Verordnung, wenn es sich um ein Gerichtsverfahren oder eine Vernehmung mit Fernteilnahme handelt.

2 Gibt es Einschränkungen bezüglich der Personen, die mittels Videokonferenz vernommen werden können? Ist dies beispielsweise nur bei Zeugen möglich oder können auch Sachverständige und Verfahrensparteien auf diese Weise vernommen werden?

Gemäß § 350 Absatz 1 der Zivilprozessordnung hat ein Beteiligter an einem Gerichtsverfahren oder einer Vernehmung mit Fernteilnahme die Möglichkeit, Verfahrenshandlungen in Echtzeit vorzunehmen, d. h. er kann eine eidesstattliche Erklärung oder in einem Antragsverfahren eine nicht eidesstattliche Erklärung abgeben. Nach § 350 Absatz 2 können auch Zeugen oder Sachverständige in einem Gerichtsverfahren oder einer Vernehmung mit Fernteilnahme vernommen werden.

Verfahrensbeteiligte können also im Rahmen eines Gerichtsverfahrens oder einer Vernehmung mit Fernteilnahme eine eidesstattliche Erklärung oder in einem Antragsverfahren eine nicht eidesstattliche Erklärung abgeben, und Zeugen oder Sachverständige können ebenfalls im Rahmen eines Gerichtsverfahrens oder einer Vernehmung mit Fernteilnahme vernommen werden.

3 Gibt es Einschränkungen hinsichtlich der Art von Beweisen, die mittels Videokonferenzen aufgenommen werden können? Wenn ja, welche?

Siehe Antwort auf Frage 2.

4 Gibt es Einschränkungen bezüglich des Ortes, an welchem eine Person mittels Videokonferenz vernommen werden kann? Muss dies beispielsweise an einem Gericht geschehen?

Gemäß § 350 Absatz 1 der Zivilprozessordnung kann ein Gericht ein Gerichtsverfahren oder eine Vernehmung mit Fernteilnahme in der Weise durchführen, dass sich eine am Verfahren beteiligte Partei oder ihr Vertreter oder Rechtsbeistand zum Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung an einem anderen Ort befindet und dort die Verfahrenshandlungen in Echtzeit vornimmt.

Ein Gericht kann demnach ein Gerichtsverfahren oder eine Vernehmung mit Fernteilnahme durchführen, damit die Beteiligten nicht unbedingt persönlich zur Vernehmung erscheinen müssen.

5 Ist es zulässig, Videokonferenzvernehmungen aufzuzeichnen? Wenn ja, sind die entsprechenden Geräte vorhanden?

Aufzeichnungen in Gerichtsverhandlungen sind zulässig. Die Aufzeichnungen sind nach dem Verfahren in § 52 bzw. § 42 der Zivilprozessordnung vorzunehmen. Die in Gerichten eingesetzte Technologie für Vernehmungen per Videokonferenz ermöglicht die Aufzeichnung von Vernehmungen gemäß § 52 der Zivilprozessordnung.

6 In welcher Sprache ist die Vernehmung zu führen a) bei Ersuchen nach den Artikeln 12 bis 14 der Beweisaufnahmeverordnung, b) bei unmittelbarer Beweisaufnahme nach den Artikeln 19 bis 21 der Beweisaufnahmeverordnung?

Gemäß § 32 Absatz 1 der Zivilprozessordnung ist die Gerichtssprache estnisch. Nach § 32 Absatz 2 der Zivilprozessordnung werden die Protokolle der Gerichtsverhandlungen und andere Verfahrenshandlungen in estnischer Sprache verfasst. Gerichte können in Gerichtsverhandlungen fremdsprachige Zeugenaussagen oder Erklärungen zusammen mit einer entsprechenden estnischen Übersetzung auch in der betreffenden Fremdsprache in das Protokoll aufnehmen, wenn dies für eine genaue Wiedergabe der Zeugenaussage oder Erklärung erforderlich ist. Die estnische Zivilprozessordnung enthält keine besonderen Bestimmungen über die Sprachenregelung für die Aufnahme von Zeugenaussagen oder Erklärungen, die nach der Verordnung (EU) Nr. 2020/1783 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (Neufassung) auf Ersuchen eines Gerichts in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführt werden.

7 Sofern Dolmetscher benötigt werden, wer ist für ihre Bereitstellung verantwortlich und wo sollten sie anwesend sein a) bei Ersuchen nach den Artikeln 12 bis 14 der Beweisaufnahmeverordnung, b) bei unmittelbarer Beweisaufnahme nach den Artikeln 19 bis 21 der Beweisaufnahmeverordnung?

Wenn eine am Verfahren beteiligte Partei der estnischen Sprache nicht mächtig ist und in dem Verfahren nicht vertreten wird, zieht das Gericht gemäß § 34 Absatz 1 der Zivilprozessordnung auf Antrag dieser Partei oder auf eigene Veranlassung nach Möglichkeit einen Dolmetscher hinzu. Ein Dolmetscher muss nicht hinzugezogen werden, wenn die Aussagen der am Verfahren beteiligten Partei von dem Gericht und den anderen Parteien verstanden werden können. Wenn das Gericht nicht unverzüglich einen Dolmetscher hinzuziehen kann, ordnet es an, dass die betroffene Partei, die einen Dolmetscher benötigt, innerhalb einer vom Gericht gesetzten Frist selbst einen der estnischen Sprache mächtigen Dolmetscher oder Vertreter hinzuzuziehen hat (§ 34 Absatz 2 der Zivilprozessordnung). Die estnische Zivilprozessordnung enthält keine besonderen Bestimmungen über den Ort, an dem sich ein Dolmetscher befinden muss, der an einer Beweisaufnahme im Sinne der genannten Verordnung teilnimmt.

8 Welches Verfahren ist zur Vorbereitung der Vernehmung und zur Zustellung der Benachrichtigung über Ort und Zeit der Vernehmung an die zu vernehmende Person anzuwenden a) bei Ersuchen nach den Artikeln 12 bis 14 der Beweisaufnahmeverordnung, b) bei unmittelbarer Beweisaufnahme nach den Artikeln 19 bis 21 der Beweisaufnahmeverordnung? Wie viel Zeit sollte in diesen beiden Fällen bis zum Vernehmungstermin eingeplant werden, damit die zu vernehmende Person die Ladung rechtzeitig erhält?

Zur Benachrichtigung über Zeit und Ort einer Gerichtsverhandlung stellt das Gericht den Parteien des Verfahrens und anderen zur Gerichtsverhandlung zu ladenden Personen gemäß § 343 Absatz 1 der Zivilprozessordnung Ladungen zu. Zwischen dem Zeitpunkt der Zustellung der Ladungen und dem Gerichtstermin müssen nach § 343 Absatz 2 der Zivilprozessordnung mindestens zehn Tage liegen. Mit Zustimmung der am Verfahren beteiligten Parteien kann diese Frist verkürzt werden.

9 Welche Kosten entstehen für eine Videokonferenz und wer hat für diese Kosten aufzukommen?

Die Frage der Kosten der Beweisaufnahme nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 2020/1783 ist in Artikel 22 der Verordnung geregelt. Gemäß § 15 Absatz 4 der Zivilprozessordnung übernimmt das ersuchende Gericht nicht die Kosten der Verfahrenshandlung. Das Gericht, das die Verfahrenshandlung vornimmt, informiert das ersuchende Gericht über die dafür anfallenden Kosten. Diese Kosten gelten als Kosten der zu verhandelnden Rechtssache. Die Kosten der Beweisaufnahme sind als für das Verfahren wesentliche Kosten gemäß § 148 Absatz 1 der Zivilprozessordnung zu entrichten. Sofern das Gericht nichts anderes bestimmt, sind die Kosten des Verfahrens in dem vom Gericht angeordneten Umfang von der Verfahrenspartei, die den die Kosten verursachenden Antrag gestellt hat, im Voraus zu entrichten. Haben beide Parteien einen Antrag gestellt oder wird ein Zeuge oder ein Sachverständiger geladen oder auf Betreiben des Gerichts eine Untersuchung vorgenommen, kommen die Parteien zu gleichen Teilen für die Kosten auf. Da die Gerichte mit Einrichtungen zur Durchführung von Videokonferenzen ausgestattet sind, fallen für die Nutzung dieser Einrichtungen keine Kosten an.

10 Mit welchen Mitteln wird sichergestellt, dass die Person, die unmittelbar durch das ersuchende Gericht vernommen wird, darüber informiert wurde, dass die Vernehmung auf freiwilliger Grundlage erfolgt?

Gemäß Artikel 19 Absatz 2 der Verordnung werden Personen, die unmittelbar von einem ersuchenden Gericht vernommen werden sollen, darüber informiert, dass ihre Aussage freiwillig ist.

11 Welche Verfahren stehen zur Überprüfung der Identität der zu vernehmenden Person zur Verfügung?

Nach § 347 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Zivilprozessordnung prüft das Gericht zu Beginn einer Verhandlung, ob die geladenen Personen anwesend sind und stellt deren Identität fest. Die Zivilprozessordnung sieht kein bestimmtes Verfahren für die Identitätsfeststellung in einer Gerichtsverhandlung vor. Das Gericht kann die Identität der geladenen Personen beispielsweise anhand von Lichtbildausweisen überprüfen. Die Identität der per Videokonferenz teilnehmenden Personen kann beispielsweise anhand einer dem Gericht vorab übermittelten Kopie eines Dokuments festgestellt werden.

12 Welche Vorschriften gelten für eine Vernehmung unter Eid und welche Angaben des ersuchenden Gerichts werden benötigt, wenn während der unmittelbaren Beweisaufnahme gemäß den Artikeln 19 bis 21 ein Eid erforderlich ist?

Nach § 269 Absatz 2 der Zivilprozessordnung muss eine am Verfahren beteiligte Partei vor ihrer Aussage folgende Eidesformel sprechen:

,Ich, (Name), schwöre bei meiner Ehre und bei meinem Gewissen, dass ich in dieser Sache die ganze Wahrheit sagen werde, ohne etwas zu verschweigen, hinzuzufügen oder zu ändern.‘ Ein Verfahrensbeteiligter legt den Eid mündlich ab und unterzeichnet die Eidesformel.

Nach § 36 Absatz 1 der Zivilprozessordnung muss eine Person, die des Estnischen nicht mächtig ist, den Eid in einer von ihr beherrschten Sprache ablegen. Gemäß § 36 Absatz 2 unterzeichnet die betreffende Person die estnische Eidesformel, nachdem sie eine mündliche Übersetzung der Eidesformel erhalten hat.

Gemäß § 262 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Zivilprozessordnung muss das Gericht den Zeugen vor seiner Aussage über seine Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage belehren; außerdem muss es den Zeugen über den Inhalt der Paragraphen 256-259 unterrichten. Die Bestimmungen über die Vernehmung von Zeugen gelten nach § 303 Absatz 5 der Zivilprozessordnung auch für die Vernehmung von Sachverständigen. Ein Sachverständiger, bei dem es sich nicht um einen gerichtlichen Sachverständigen oder einen zugelassenen Privatsachverständigen handelt, wird vor Erstellung seines Gutachtens darüber belehrt, dass er nicht wissentlich ein unzutreffendes Gutachten abgeben darf. Der Sachverständige bestätigt dies durch Unterzeichnung des Gerichtsprotokolls oder des Wortlauts der entsprechenden Belehrung. Die unterzeichnete Belehrung wird dem Gericht zusammen mit dem betreffenden Gutachten vorgelegt.

13 Mittels welcher Vorkehrungen wird sichergestellt, dass an dem Ort der Videokonferenz eine Kontaktperson für das ersuchende Gericht anwesend ist sowie eine Person, die die Videokonferenzanlage bedienen und mögliche technische Probleme beheben kann?

In einer als Gerichtsverfahren oder Vernehmung mit Fernteilnahme organisierten Gerichtsverhandlung muss gemäß § 350 Absatz 3 der Zivilprozessordnung das Recht aller am Verfahren beteiligten Parteien, Eingaben zu machen und Anträge zu stellen und zu den Eingaben und Anträgen anderer Verfahrensbeteiligter Stellung zu nehmen, gewährleistet sein. Zudem müssen die sonstigen Bedingungen der Gerichtsverhandlung während der Echtzeitübertragung von Bild und Ton der nicht im Gerichtssaal anwesenden, am Verfahren beteiligten Parteien an das Gericht und umgekehrt in technisch einwandfreier Weise erfüllt sein.

In jedem Gericht gibt es einen Mitarbeiter der Geschäftsstelle, der als IT-Fachmann fungiert und sicherstellt, dass die Videokonferenzanlagen funktionieren und etwaige technische Probleme behoben werden.

14 Werden zusätzliche Informationen des ersuchenden Gerichts benötigt? Wenn ja, welche?

Die benötigten Informationen sind dem Antragsformular zu entnehmen. Ob zusätzliche Informationen benötigt werden, hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Falls ab.

Gemäß § 32 Absatz 1 der Zivilprozessordnung ist die Gerichtssprache Estnisch. Nach § 32 Absatz 2 der Zivilprozessordnung werden die Protokolle der Gerichtsverhandlungen und andere Verfahrenshandlungen in estnischer Sprache verfasst. Gerichte können in Gerichtsverhandlungen fremdsprachige Zeugenaussagen oder Erklärungen zusammen mit einer entsprechenden estnischen Übersetzung auch in der betreffenden Fremdsprache in das Protokoll aufnehmen, wenn dies für eine genaue Wiedergabe der Zeugenaussage oder Erklärung erforderlich ist. Die estnische Zivilprozessordnung enthält gemäß der Verordnung (EU) Nr. 2020/1783 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (Neufassung) keine besonderen Bestimmungen über die Sprachenregelung für die Aufnahme von Zeugenaussagen oder Erklärungen.

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