1 Besteht ein eigenes Verfahren für Bagatellsachen?
Das polnische Recht sieht ein „vereinfachtes Verfahren“ vor. Es wird durch die Artikel 5051 bis 50514 der polnischen Zivilprozessordnung geregelt.
Die auf eine Beschleunigung der Verfahren abzielenden Vereinfachungen bestehen darin, die Beweiserhebung und die Rechtsmittelverfahren zu straffen und zu optimieren, indem Gerichtsverfahren beschleunigt und weniger formell gestaltet werden. Zudem werden strengere formelle Anforderungen an die Parteien eingeführt, um sicherzustellen, dass die Parteien die einschlägigen Fristen für die Einleitung verschiedener Verfahrensschritte einhalten.
Das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen ist in die polnische Zivilprozessordnung integriert. Dieses Verfahren wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen eingeführt, um Verfahren in Zivil- und Handelssachen zu straffen und zu vereinfachen. Die Verordnung wird in allen EU-Mitgliedstaaten außer Dänemark angewendet. Sie wurde durch die Artikel 50521 bis 50527a der polnischen Zivilprozessordnung in polnisches Recht umgesetzt.
1.1 Anwendungsbereich des Verfahrens, Streitwert
Das vereinfachte Verfahren wird in den folgenden Fällen angewendet, die in die Zuständigkeit der Kreisgerichte (sądy rejonowe) fallen:
- vertragliche Streitigkeiten mit einem Streitwert bis 20 000 PLN, Gewährleistungs- und Garantieansprüche, sowie Ansprüche wegen Mangelhaftigkeit der Sache bei einem Verbrauchsgüterkauf, wenn der Wert des Vertragsgegenstands den genannten Betrag nicht übersteigt,
- Ansprüche auf Mietzahlungen für Wohnraum und von Mietern zu zahlende Gebühren sowie Gebühren für die Nutzung von Wohnräumen in einer Wohnungsbaugenossenschaft, wobei der Streitwert hierbei unerheblich ist.
Gemäß der Rechtsprechung des Obersten Gerichts (Sąd Najwyższy) sollten Klagen wegen Nichterfüllung oder unzulänglicher Erfüllung einer Verpflichtung im Rahmen des vereinfachten Verfahrens verhandelt werden, wenn der Streitwert 20 000 PLN nicht übersteigt. Auch wenn der Kläger die Zahlung eines Betrags durchsetzen möchte, der weniger als 20 000 PLN beträgt und den Rest einer Forderung darstellt, die bereits beglichen wurde und die höher als 20 000 PLN war, wird dieser Anspruch im Rahmen des vereinfachten Verfahrens eingeklagt. „Vertraglich“ bedeutet, dass eine Forderung, die sich aus unrechtmäßigen Handlungen, einer ungerechtfertigten Bereicherung und dem Vorliegen von Eigentum an Vermögensgegenständen, von Miteigentum oder einer Rechtsgemeinschaft oder dem Vorliegen anderer Eigentumsrechte ergibt, deren Erwerb oder Ausübung zu einer Zahlungsverpflichtung führt, nicht im Rahmen des vereinfachten Verfahrens eingeklagt werden kann. Forderungen aus anderen Rechtsgeschäften als Verträgen können ebenfalls nicht gemäß diesem Verfahren verhandelt werden: Dies gilt für einseitige Rechtsgeschäfte, Vertretung ohne Vollmacht, Pflichtteil an Nachlässen (legitima portio) und Verpflichtungen, die sich aus einer Verwaltungsentscheidung oder unmittelbar aus gesetzlichen Bestimmungen ergeben.
Das vereinfachte Verfahren kann in Rechtssachen angewendet werden, an denen natürliche und juristische Personen oder Unternehmen, Arbeitnehmer und Arbeitgeber beteiligt sind. Daher ist die Anwendung des Verfahrens nicht durch die Art der Rechtspersönlichkeit eingeschränkt. Das bedeutet, dass Angelegenheiten, die Arbeitsverhältnisse oder wirtschaftliche Belange betreffen, im Rahmen des vereinfachten Verfahrens verhandelt werden können.
Das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen fällt gemäß der in der Zivilprozessordnung festgelegten örtlichen Zuständigkeit (Artikel 16 der Zivilprozessordnung in Verbindung mit Artikel 17 und 50522 der Zivilprozessordnung) in die Zuständigkeit der Bezirksgerichte (sądy okręgowe) und der Kreisgerichte (sądy rejonowe). In solchen Rechtssachen können Justizbedienstete Anordnungen erlassen.
In Übereinstimmung mit der vorgenannten Verordnung sind geringfügige Forderungen Forderungen in Zivil- und Handelssachen (einschließlich Verbrauchersachen) und Rechtssachen, in denen der Streitwert der Klage ohne Zinsen und Kosten 5 000 EUR nicht übersteigt (zum Zeitpunkt des Eingangs der Klage beim zuständigen Gericht).
1.2 Anwendung des Verfahrens
Gemäß Artikel 5053 kann ein Verfahren im Rahmen des vereinfachten Verfahrens stets nur eine Klage betreffen. Mehrere Klagen können nur dann zu einer einzigen Klage zusammengefasst werden, wenn sie sich aus demselben Vertrag oder aus Verträgen derselben Art ergeben. Werden verschiedene Klagen unrechtmäßig zu einer Klage zusammengefasst, ordnet der vorsitzende Richter an, dass die Klage gemäß Artikel 130 Absatz 1 der polnischen Zivilprozessordnung abgewiesen wird, sofern Maßnahmen zur Berichtigung dieser formalen Unregelmäßigkeit ohne Erfolg blieben. Wenn der Kläger einen Teil einer Forderung einklagt, wird die Rechtssache nach dem vereinfachten Verfahren verhandelt, wenn dieses Verfahren nach dem Sachverhaltsvortrag des Klägers für die gesamte Forderung angemessen wäre. Klagen können im Rahmen des vereinfachten Verfahrens nicht geändert werden. Widerklagen und Anrechnungen sind zulässig, wenn Klagen für eine Verhandlung nach Maßgabe des vereinfachten Verfahrens geeignet sind. Haupt- bzw. Nebenintervention, Streitverkündung oder ein Wechsel der Parteien sind nicht zulässig.
Rechtssachen werden unabhängig von den Wünschen der Parteien im vereinfachten Verfahren verhandelt, was bedeutet, dass dieses Verfahren zwingend ist.
1.3 Vordrucke
Gemäß Artikel 125 Absatz 2 der Zivilprozessordnung müssen alle Schriftsätze, einschließlich Klagen, Klageerwiderungen, Anträge auf Aufhebung von Versäumnisurteilen oder Schriftsätze, die im vereinfachten Verfahren vorgelegte Beweismittel enthalten, auf amtlichen Formblättern eingereicht werden.
Diese Formblätter sind bei den kommunalen Behörden, den Geschäftsstellen der Gerichte und auf der Website des Justizministeriums verfügbar. Wird nicht der erforderliche Vordruck verwendet, stellt dies einen Formfehler dar.
Wenn ein Schriftsatz, der auf einem amtlichen Formblatt hätte eingereicht werden sollen, in anderer Form vorgelegt wird, oder wenn ein Schriftsatz nicht bearbeitet werden kann, weil andere formale Voraussetzungen nicht erfüllt wurden, ist in den allgemeinen Bestimmungen der polnischen Zivilprozessordnung (Artikel 1301) vorgesehen, dass der vorsitzende Richter die Partei dazu auffordert, die Unregelmäßigkeiten innerhalb einer Woche zu beheben und dieser Partei den Schriftsatz zurücksendet. In der Aufforderung zur Behebung der Unregelmäßigkeiten sollten alle Unregelmäßigkeiten aufgeführt werden, die sich im Schriftsatz befinden. Kommt die Partei dieser Aufforderung nicht innerhalb der Frist nach, oder wird erneut ein Schriftsatz mit Unregelmäßigkeiten eingereicht, ordnet der vorsitzende Richter die Rücksendung desselben an.
Im europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen sind vier Formblätter vorgesehen, die der vorgenannten Verordnung als Anhänge beigefügt sind. Hierbei handelt es sich um
- das Klageformblatt,
- die Aufforderung des Gerichts zur Vervollständigung und/oder Berichtigung des Klageformblatts,
- das Antwortformblatt,
- die Bestätigung zu einem im europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen ergangenen Urteil.
1.4 Beistand
Im vereinfachten Verfahren gilt der Grundsatz der Konzentration der Beweismittel. Erklärungen, Behauptungen und Beweisanträge, die von den Parteien nach Einreichung einer Klage, einer Widerklage oder eines Antrags auf Aufhebung eines Versäumnisurteils oder nach Abschluss der ersten für eine mündliche Verhandlung angesetzten Sitzung eingereicht wurden, werden vom Gericht nicht berücksichtigt (Ausschlusssystem), es sei denn, die Partei weist nach, dass sie diese nicht früher einreichen konnte oder nicht früher hätte einreichen müssen (nach dem Ermessen des Richters). Diese Regelung ist durch die Beschleunigung des vereinfachten Verfahrens bedingt. Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass es unmöglich oder sehr schwierig ist, den Streitwert schlüssig zu belegen, kann es nach Berücksichtigung aller Fakten der Rechtssache im Urteil einen nach seinem Ermessen angemessenen Betrag festsetzen. Bei der Prüfung einer Rechtssache kann ein Gericht von den Vorschriften über das vereinfachte Verfahren abweichen, wenn dies zu einer effizienteren Streitbeilegung beitragen kann (Artikel 5051 Absatz 3 der Zivilprozessordnung). Sind zur Feststellung der Begründetheit und der Höhe der Forderung besondere Kenntnisse erforderlich, so steht es im Ermessen des Gerichts, eine unabhängige Bewertung unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles vorzunehmen oder ein Sachverständigengutachten einzuholen. Es wird kein Sachverständigengutachten eingeholt, wenn die voraussichtlichen Kosten eines Gutachtens den Streitwert übersteigen, es sei denn, dies ist durch besondere Umstände gerechtfertigt. Hat eine Person als Zeuge ausgesagt, kann sie dennoch als Sachverständiger hinzugezogen werden, sogar zu den Tatsachen, über die sie ausgesagt hat. Dies gilt auch, wenn sie bereits auf Ersuchen einer anderen Stelle als dem Gericht ein Gutachten erstellt hat (Artikel 5077 der Strafprozessordnung).
1.5 Vorschriften bei der Beweiserhebung
Sind zur Feststellung der Begründetheit und der Höhe der Forderung besondere Kenntnisse erforderlich, so steht es im Ermessen des Gerichts, eine unabhängige Bewertung unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles vorzunehmen oder ein Sachverständigengutachten einzuholen. Es wird kein Sachverständigengutachten eingeholt, wenn die voraussichtlichen Kosten eines Gutachtens den Streitwert übersteigen, es sei denn, dies ist durch besondere Umstände gerechtfertigt. Hat eine Person als Zeuge ausgesagt, kann sie dennoch als Sachverständiger hinzugezogen werden, sogar zu den Tatsachen, über die sie ausgesagt hat. Dies gilt auch, wenn sie bereits auf Ersuchen einer anderen Stelle als dem Gericht ein Gutachten erstellt hat (Artikel 5077 der Strafprozessordnung).
1.6 Schriftliches Verfahren
Das vereinfachte Verfahren ist grundsätzlich ein schriftliches Verfahren. Die meisten Anträge der Parteien sollten auf bestimmten amtlichen Formblättern gestellt werden. Sie können im Rahmen des vereinfachten Verfahrens jedoch auch mündlich gestellt werden. Eine Partei, die bei der Urteilsverkündung anwesend ist, kann auf ihr Recht auf Einlegung eines Rechtsmittels verzichten, indem sie nach der Urteilsverkündung eine entsprechende Erklärung abgibt. Verzichten alle berechtigten Parteien auf das Recht auf Einlegung eines Rechtsmittels, wird das Urteil rechtskräftig (Artikel 5058 Absatz 3 der Zivilprozessordnung).
Das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen ist ein schriftliches Verfahren (Artikel 125 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 50521 der polnischen Zivilprozessordnung).
1.7 Gestaltung der richterlichen Entscheidung
Bei der Prüfung einer Rechtssache kann ein Gericht von den Vorschriften über das vereinfachte Verfahren abweichen, wenn dies zu einer effizienteren Streitbeilegung beitragen kann. Eine gerichtliche Entscheidung nach Artikel 5057 der Zivilprozessordnung sollte in der mündlichen Verhandlung als eine Entscheidung verkündet werden, gegen die kein Rechtsmittel eingelegt werden kann.
1.8 Übernahme der Prozesskosten
Kläger müssen sowohl im vereinfachten als auch im normalen Verfahren eine Gebühr für die Klageerhebung entrichten. Im Rahmen des vereinfachten Verfahrens richten sich die Gebühren für Klagen nach den allgemeinen Grundsätzen, die im Gerichtsgebührengesetz für Zivilverfahren vom 28. Juli 2005 festgelegt sind.
Die Aufteilung der Kosten wird im vereinfachten Verfahren nach den allgemeinen Bestimmungen der Artikel 98 bis 110 der polnischen Zivilprozessordnung bestimmt. Gemäß Artikel 98 der Zivilprozessordnung ist die unterlegene Partei verpflichtet, der anderen Partei auf Antrag die Kosten zu erstatten, die einer Person bei der Geltendmachung oder Verteidigung ihrer Rechte vor Gericht entstehen. Die Kostenentscheidung des Gerichts ergeht im Rahmen jedes Urteils, mit dem ein Gerichtsverfahren abgeschlossen wird.
1.9 Möglichkeit der Anfechtung
Gegen Urteile, die gemäß der vorgenannten Verordnung ergehen, kann vor einem Berufungsgericht (sąd apelacyjny) Rechtsmittel eingelegt werden. Erging das Urteil durch ein Kreisgericht, wird das Rechtsmittel über dieses Gericht bei einem Bezirksgericht eingelegt. Erging das Urteil durch ein Bezirksgericht, wird das Rechtsmittel über dieses Gericht bei einem Berufungsgericht eingelegt (Artikel 367 und 369 der Zivilprozessordnung in Verbindung mit Artikel 50526 und 50527 der Zivilprozessordnung).
Sind die in Artikel 7 Absatz 3 der vorgenannten Verordnung festgelegten Bedingungen erfüllt, erlässt das Gericht ein Versäumnisurteil. Der Beklagte kann gegen ein Versäumnisurteil bei dem Gericht, das dieses Urteil erlassen hat, Rechtsmittel einlegen. Fällt das Ergebnis eines Rechtsstreits nicht zu seinen Gunsten aus, kann der Kläger nach den allgemeinen Bestimmungen (Artikel 339 Absatz 1, Artikel 342 und Artikel 344 Absatz 1 der Zivilprozessordnung) Rechtsmittel einlegen.